4
Sep
2015

Nachsitzen

Sportunterricht in der siebten Klasse, an einem Sommer, auf einem grünen Fußballplatz. Haigha war recht neu in der Klasse, da sein Abstieg vom Gymnasium nun hier auf der Hauptschule seinen Abschluss fand.
Sein Ego war zu diesem Zeitpunkt trotz des Falls eigentlich recht gestärkt. Auf der Realschule hatte er Leute bedroht, das Auto des Mathelehrers zerkratzt, Geld geklaut und Läden beklaut. Dazu kamen Zerstörungsanfälle, welche es mit Freunden auf ein örtliches Sägewerk abgesehen hatten, sowie Feuerexperimente in mehreren Waldhäusern. Es gab sicherlich reinere Westen und zurückhaltendere Jugendliche.
Plötzlich, mitten auf dem Wiesenplatz, ein Hieb über den Hinterkopf. Der Täter offenbarte sich schnell und warf Haigha ein freundschaftliches Lächeln zu, implizierend, daß es nicht wirklich böse gemeint war. S sah es offensichtlich als eine Umgangsform, die man ohne weitere Konsequenzen einsetzen konnte. Haigha sah das anders und sagte ihm etwas in der Form von "Fick dich, du Bastard."

Hier passierte etwas. Ein bestimmter Moment im Leben des Hasen. Einer, derjenigen, die er vielleicht löschen würde, wenn es die Gelegenheit gäbe. Nicht nötig lange drüber nachzusinnen, aber bahnte dieser Moment Unmengen von weiteren Problemen. Verfolgung bis in die Gegenwart. Aber allem voran: Demütigung.

S schubste Haigha zu Boden. "Du bist dran, bis später" hieß es. Haigha war nicht beeindruckt. Wenn er glaubt, daß er damit Angst erzeugt ist er schief gewickelt.
Obwohl, hier kamen die ersten noch eher unbekannten Klassenkameraden zu Haigha und sagtem ihm mit besorgten Augen, daß er ein Problem habe.
Echt? Was soll denn das sein?
Ernst wurde die Angelegenheit erst, als Haigha sich auf den Weg zur anderen Schule machen musste. Es gab bestimmte Wahlpflichtfächer, für die die Klasse die Schule wechseln musste, mit einem Fußweg von etwa 20 Minuten verbunden. Haigha begleitete einen Mitschüler, welcher einen riesigen Sack voller Äpfel transportierte, den er offenbar später nach Hause bringen wollte. Dieser betonte auch etliche Male, daß das Leben des Hasen nun praktisch verlebt sei.
Man war drauf erpicht den normalen Weg zu meiden, da mittlerweile entschieden genug Angst eingeredet worden war. Jedoch, der Begleiter war nicht wirklich bedacht zu helfen und sagte beim Kreuzen des normalen Weges auf dem die ganze Schulklasse schon wartete: "Oh, dann kreuzen sich die Wege wohl doch", obwohl es klar war, daß er diesen Weg schon etliche Male gegangen war. Zeit sich dem Schicksal zu beugen, nein, nicht zu stellen.
S kam auf Haigha zu, schwang den ein oder anderen denunzierenden Spruch und schlug ihm 2-3 Mal ins Gesicht bis der Hase mit dem Rücken an einen Baum gedrängt wurde. Keine Lust sich zu wehren, warum auch? Haigha ertrug die Schläge, bis S zugerufen wurde, warum er nicht weiter mache. Dieser antwortete, daß sich sein Opfer ja nicht mal wehren würde. Keine Lust, warum auch?

Jahre später las Haigha davon, daß Bukowski sich mal mit seinem Vater geprügelt hatte. Das wühlte ihn auf. Haigha hätte niemals Goliath herausgefordert. Hier hat doch nichts mit Willen oder Mut zu tun. Stärkere hauen den Schwachen auf die Fresse. Alles eine Frage des Opfers. Jeder kann ein "Stärkere" sein. Aber doppelt aufs Maul bekommen, weil man sich gegen einen übermächtigen Gegner stellt? Das ergab in Haighas Ohren keinen Sinn.

Dreißig Leute sahen bei der Demütigung des Neuen zu und man trennte sich darauf hin. Haigha war im Stolz verletzt und entsprechend seines Wesens war er auf eine Form der Rache aus. Nichts anderes als der Rektor sollte die Person sein, der man sich anvertrauen und um Konsequenzen bitten würde.
Gesagt, getan. Eine Teilschuld leugnend wurde dem Rektor die Situation vorgetragen und die Handhabung sah so aus, daß die zwei im Streit Beteiligten in einen Raum gesperrt wurden um das auszuhandeln. S wurde dementsprechend aus seiner Werkstunde geholt und mit Haigha zusammen gesetzt.
Es gab dann tatsächlich Verhandlungen und es wurde ein Kompromiss ausgehandelt. Die Vorwürfe würden fallen gelassen, wenn eine Art Frieden etabliert würde. Klassische Diplomatie.
Man verabschiedete sich spaßend aus dem zugeordneten Zimmer. Eigentlich hätten alle mit der Verhandlung und dem Ergebnis zufrieden sein können. Es bestand ein beiderseitiges Einverständnis.

Haigha war naiv gewesen und dachte, daß Händeschütteln Geschäfte macht. Ein Fehler, welcher zu diesen paar verkürzten Situationen führte.

Auf dem Weg zur Bushaltestelle kreuzte Haigha S und ein paar seiner Freunde. S hatte sich nie wieder selbst bemüht und seit jeher unterschiedlichste Freunde mit der Handarbeit beauftragt, was künftig das Hinzuziehen einer Autoritätsperson irrelevant machte.
"Hey, du mit den Kopfhörern. Verpiss dich."
Haigha ging einfach weiter. Die Person verfolgte ihn aber und verpasste ihm einen Kopfstoß, was den Hasen zu Boden gingen ließ. Eine Frau stürmte von der Seite aus dem Gebäude und erkundete sich nach dem Wohlbefinden. Haigha machte ihr sofort klar, daß er keine Hilfe wollte.
An der Bushaltestelle kamen dann die großen Ratschläge. Haigha solle zurück gehen und dem Täter eine aufs Maul hauen, so stark sei der doch gar nicht. Es bestand kein Interesse an solchen Aktionen.
An dem Tag kam Haigha nach Hause und gestand seiner Mutter, was passiert war. Der Tipp zur Lösung des Problems war es, sich doch mal beim Rektor zu melden. Damit war die elterliche Hilfsquelle auch abgehakt.

An einem anderen Abend erhielt Haigha eine SMS von seiner Cousine.
"Was hältst du eigentlich von S und P?"
"Ich hasse die Arschlöcher und du solltest dich nicht mit denen abgeben."
"Hier sind S und P. Wir haben nur das Handy deiner Cousine benutzt um dir zu schreiben. Bis Montag."
Naivität wird bestraft. Haigha wäre künftig vorsichtiger.

Monate später auf dem Weg zur Schule erneut eine Begegnung. Dieses Mal mit P.
"Hast du Geld dabei?"
"Nein."
"Lass mich deine Taschen durchsuchen."
"Nur zu."
"Ist das Grippe-Medizin?"
"Ja, ich bin etwas krank."
"Tut mir leid. Gute Besserung"
"Geht schon."
"Zeig mir die andere Tasche."
"Klar."
"Glück gehabt. Nichts dabei. Verpiss dich."
Haigha hatte das Geld im Schuh. Solche Leute gucken nicht in den Schuhen nach. Aber was war das gewesen? Haigha fühlte sich wie in einem Konzentrationslager, wo die Menschen dem Anderen schadeten, weil sie es mussten. Just business, nothing personal. Das war schon mal vorgekommen.

Jahre später saß Haigha Zuhause, bei einem Gemisch von Eistee und Wodka und dachte sich, was nun eigentlich schlimmer gewesen war. Die wenigen Momente der Konfrontation oder die unendlichen Momente der Angst, daß was passieren könnte. Oh, es war genug geschehen und obiges sind nur ein paar Beispiele von etlichen weiteren. Aber dennoch, die Anspannung war zu jeder Schulstunde der Begleiter. Umwege wurden in Kauf genommen um gemeinsame Bushaltestellen zu vermeiden, es wurde Anstrengungen unternommen um ja nie in Blickkontakt zu geraten, in der Pause stand man extra nah am Gebäude und dem Wohnort von S und P näherte man sich prinzipiell nicht, wenn man nicht musste.

Haigha wollte auch kein Mitleid, oder Gespräche oder Therapie. Das war vorbei. Mit seinen wenigen Freunden, welche zeitweise auch Opfer wurden, ging es nur um Rache, Folter und Rückzahlung. Des Einen Leid, des Anderen Leid. Leider wurde weder was aus Auge um Auge, noch was aus Zahn um Zahn.

Mehr als nur Schule, eine Lektion fürs Leben.
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