Altes

19
Okt
2016

Que sera...

Unbenannt2

12
Sep
2015

Pubertät

Haigha hatte schnell gemerkt, daß er Umwege brauchte um bei Frauen zu landen. Die Erfahrung machte deutlich, er musste erst mit einer Frau reden, bevor er sie erobern konnte. Das funktionierte im Alltag sehr schlecht, deshalb begab sich Haigha in die damaligen Weiten seiner virtuellen Welt. Das war der Teletext-Chat.

Für die, welche heute nicht mehr begreifen was das ist. Für alternative Jugendliche gab es einst den Sender VIVA2 auf welchem alternative Musik lief. Auf diesem wiederum gab es einen Teletext-Kanal, welcher für die Gothics und Satanisten gedacht war. Die Menschen hießen dort "Vampunk", "And One" oder "Alexiel". Haigha nannte sich damals "J.Voorhees", alle 10 möglichen Zeichen ausnutzend. Auch beendete er jede seiner Nachrichten mit der Phrase "kihihill...hahaha..." in Anlehnung an den Film.
Tatsächlich war jede einzelne Nachricht an diesen Chat sehr teuer und bedeutete, daß Haigha damals sein kleines Ausbildungsgehalt manchmal mit 50 Mark pro Tag belastete.
Das Alleinstellungsmerkmal funktionierte. Haigha, beziehungsweise Jason, bekam schnell bestimmte Bekannte. Persönlich wurde es mit einer Benutzerin namens "Issues". Haigha würde erst sehr viele Jahre später verstehen, welch großartige Person er hier kennengelernt hatte.
Diese frühe Bekanntschaft war unheimlich sexuell. Man verbrachte Nächte miteinander, im Gespräch über die jeweilige Selbstbefriedigung, als bei ihr die Tür aufgeworfen wurde, der Vater ihr das Telefon aus der Hand riss, welches erwiesenermaßen mit.....befleckt war. Das war nur einer der Höhepunkte. Für Haigha ein regelrechter Rausch.
Und dann kam "PoisonGirl" in Anspielung auf den damaligen HIM-Song.
Haigha war verwirrt. Zwei Frauen wollten ihn? Sex ging gegen Liebe ins Feld und er ließ letzteres gewinnen. Nicht ohne Konsequenzen. Issues weinte in den Chat welch böse Person er war und hatte recht. Jemand, der wählen konnte. Ein Enttäuscher. Ein Bestimmer. Ein Fiesling.
Es war zu der Zeit noch üblich sich einander Briefe zu schreiben und bei den wenigen Seiten ging es so viel Drama wie möglich zu etablieren. Issues schickte Haigha einen Brief, zum Teil geschrieben mit Blut. Das war toll. So toll. Haigha war wieder verwirrt. Was auch immer der Brief tatsächlich sagte. Mit Blut? So toll.

Poisongirl. Für 18 Monate Achterbahn. Haigha hatte Besitzansprüche und Regeln, welche unmöglich waren. Mehr Schmerz als Liebe. Wir haben es versucht.
Ich mochte wie du versuchst hast mich zu verstehen. Meine irrsinnige Eifersucht, den Hass gegen deine Verfehlungen, das Drama, meine Irrationalität an sich. Du hast es versucht.

Zehn Jahre später kamen Issues und Haigha wieder zusammen. Beide waren traurig und erwartungsvoll. Auch hier wurde wieder alles textlich verarbeitet. Man ersann sich eine Welt.
Es gab ein Kino, mit allen erdenklichen Sitzen, wobei alle frei waren und der Film lief, den man gerade ersann. Vor den Türen gab es Therme und eine Sauna, daneben Duschen. Alles für die beste Erholungstour reserviert. Nacktheit war normal. Die wichtige Größe der Burg war aber der Innenraum. Ein Saal, prall gefüllt mit Decken und Kissen. Ein Glasdach thront die Räumlichkeit, wobei das Wetter bestimmbar ist. Dabei sei gesagt, daß es immer bei starkem Regen blieb. Das Schloss wurde getragen von einer Schnecke und war in Form einer Erdbeere.
Issues war ein bestimmter Typus. Sie war wunderschön. Und sie liebte Sex. Die Nächte waren sehr schön. Es war mehr als das was es erschien. Es war eine Umarmung von zwei Fehlern. Die Augen, eine Geschichte.

Heute aber kennt Haigha nur noch Poisongirl. Die Beziehung ist merkwürdig. Sie besteht aus Zurückhaltung und Nostalgie. Beide wollen immer an die wilden Geschichten denken, möchten aber nicht die Karten auf den Tisch legen. Wie früher, es passiert also praktisch nichts. Was kann man sagen? Haigha war betrunken und hatte des nachts davon geträumt, daß sein Stiefvater mit Poisongirl in die Badewanne steigt und ihn selbst auslacht. Irrationale Traurigkeit? Poisongirl machte keinen Unterschied. Da waren offene Arme auch für den Unsinn.

Haigha ist ein unerträgliches Wesen.

23
Aug
2015

#14

Bezüglich des letzten Textes möchte ich gerne genauer werden. Ungern beschreibe ich diese eine Szene des Traums, aber sie ist durchaus ausschlaggebend für den Zusammenhang.

Der Traum welcher mich zuletzt verfolgte bestand aus 5 Sekunden. Ich liege mit einer alten Bekannten im Zimmer meiner Kindheit, quasi aufeinander. Am Ende aber dazu mehr.

"Alte Bekannte" heißt in diesem Fall, eine Bekannte die mal 2 Jahre lang unter einer WG wohnte, die ich bewohnte. Wir waren schon länger bekannt und ich war zu diesem Zeitpunkt noch in einer Beziehung. Besagte Dame hatte in dieser Zeit mal erwähnt, daß ich für sie asexuell sei. Das ist übrigens ein Vorwurf, ich muss es so nennen, den ich bis heute sehr oft bekommen habe.

Als meine damalige Freundin mich dann verließ, weil ich entweder beschäftigt oder besoffen war, meistens beides, änderte sich dann ihr Bild. Das lief so ab, daß ich in der WG bekannt war Filme alleine in meinem Zimmer zu gucken und es gab einen Abend, an dem sie mich mal zufällig dabei begleitete. Ich glaube, da sprang der Funken über und von Null auf Hundert. Ich weiß noch genau was lief. Trivial, sehr trivial, "In China essen sie Hunde".

Danach nahmen wir uns monatelang vor, mal gemeinsam nackt im örtlichen Teich schwimmen zu gehen. Wir idealisierten das lange und lachten drüber wenn wir uns trafen, fast schon wie ein Dauerwitz. Bis es dann so weit war. Ich holte sie vor ihrer Wohnung ab und wir lachten, bis wir zu der selbstverständlich zwanghaften Situation am Ufer kamen. Mir war es "egaler" als ihr, also sagte ich, sie solle sich kurz umdrehen und stürzte mich ins sommerlich warme Wasser.
Ich war dann dran in die Ferne des Teiches zu schauen, sie entkleidete sich und warf sich hinter mir ins Nass.
Hier startete das Problem. Ich kann nicht flirten. Ich kann nur so tun und dann einen Rückzieher machen. Aber sie, sie wollte es. Sie rief nach mir und sagte, daß ich ihr bei ihrem Handstand zuschauen sollte. Sie tat das derweil. Ich konnte nichts erkennen weil mein Augenlicht nicht besonders effektiv ist. Sie probierte es sicherlich dreimal und ich rief ihr zu, daß ich nichts erkennen könnte und schwamm zu der Liane mit der man sich ins Wasser schwingen konnte und tat eben dies. Die Dame hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon wieder ans Ufer begeben und ihren Plan aufgeben.
Nachdem ich mich nicht wirklich amüsiert, sondern vielmehr Ferne etabliert hatte, begab ich mich zu ihr, wieder Nähe implizierend.
Ich trat von hinten an sie heran und sie sagte: "Du bist nackt, Haigha", und ich antwortete "Na, und?". Wir zogen uns an, taten so als wäre nichts geschehen und verschwanden in unseren Wohnungen.
Wenige Tage später fragte mich die Dame ob wir noch mal einen Film zusammen schauen wollen und ich bejahte das. Ich saß auf der Terrasse und freute mich auf ihre Ankunft und sie kam die Treppe hoch mit sehr kurzer Kleidung, sehr zielgerichtet, und sagte mir, daß wir doch was vorhaben. Der Rest der Runde erhob die Augenbrauen, aber ich gehorchte sehr gerne.

Wir waren in meinem Zimmer. Der Fernseher ans Bett gerückt. Ich hatte es nie eingesehen es mir nicht so gemütlich wie nur möglich zu machen. Das heißt, es war klar, daß ich nackt unter meiner Bettdecke lag, so wie ich auch schlafe. Sie saß dann daneben im Bett. Kurze Zeit später fragte sie mich, ob sie sich auch ausziehen sollte, weil es, vorgeschoben, zu warm sei. Sie äußerte aber auch gleich Zweifel, daß man auf dem Hof schon über uns sprach und sie der Meinung war, daß ihre Nacktheit in meinem Bett das nur, wohlgemerkt berechtigt, bestärken würde. Ich riet ihr von ab und wir guckten den Film.

Danach erzählte meine Ex dieser Dame, daß ich schlecht über sie gesprochen hatte. Das war wahr. Sie war nicht besonders schlau und auch nicht besonders erträglich. Das habe ich bestimmt gesagt. Aber sie war irgendwie liebenswürdig. Ihr Gesicht zeugte entweder von entgrenzter Freude oder von seelenzerfetzender Trauer. Was sie ganz besonders auszeichnete, war Unsicherheit. Ein Kompliment erschütterte ihr ganzes geistiges Universum. Deshalb verschonte ich sie von diesen verbalen Gefahren.
Dennoch nahm sie die Aussagen meiner Ex ernst und wandte sich ab. Sie sprach wochenlang nicht mehr mit mir und ich war einerseits verwirrt und andererseits befriedigt.
Wir trafen uns dann zuletzt auf einer hofinternen Feier. Sie trat an mich heran und fragte, ob ihr die Wahrheit erzählt worden sei. Es war ihr letzter Abend vor ihrem Umzug nach Berlin. Wir saßen auf einem Tisch, sie lächelte mich an und hinter ihr brannte ein großes Feuer.

Wir endeten gemeinsam in meinem Zimmer und taten nichts. Wir lagen nebeneinander und hörten uns in Dauerschleife "Three is an Orgy, Four is Forever" von "Ordo Rosarius Equilibrio" an. Spät in der Nacht ging sie dann ins Bett, runter in ihre Wohnung. Wir umarmten uns am nächsten Tag noch mal und das wars.

Das Ende des Traums nun hier noch, und wie logisch. Sie stellt sich vor mir auf, zieht ihre Hose runter und fragt mich ob ich sie hübsch finde. Ich bejahe. Das wars. Es ist nicht mal romantisch oder erotisch. Aber ich denke jede Stunde dran zurück und ich weiß nicht warum, aber es tut weh.

Es sei übrigens noch erwähnt. Wir mögen uns nicht mehr. Streit trieb uns auseinander.

10
Mrz
2015

Selbstverfluchung

Wenn ich schon ein Notizbuch in der Hand habe, kann ich eigentlich auch noch eine weitere abtippen. Da ich mehrere solcher Notizbücher habe, liegen manchmal die Texte zeitlich weit auseinander. Die Entgiftung (weiter unten) dürfte 2 Jahre her sein, der folgende Text circa 5 Jahre.

Heute soll es also so weit sein. Wo in den letzten Tagen noch Lichtstrahlen ins Dunkle schienen, dort ist jetzt jede Hoffnung und jeder Wunsch nach Helligkeit in einer verspielt-bösartigen Weise mit vielen Bauch- und Kopftreffern zu Boden gestreckt worden. Die Menschheit und das Leben sind ein einziger Fluch, eine einzige ekelhafte Pest. Es ist mein klares Schicksal in dieser Welt nur Schmerz und Kummer erleiden zu müssen. Nun soll der linke Pfad mein Weg sein. Schmerz, Verachtung, Bosheit, Wille, Befriedigung sollen nun mein Auge und mein Herz füllen. Ich schreibe diese Zeilen in einem klaren Kopf und wenn ich diesen Text einmal lese und immer noch Heiterkeit spiele, so soll Schande über mich kommen. Wolfszeit, Beilzeit.

Die Geister, die ich rief.

Notizen aus der Gefangenschaft

Diesen kleinen Text schrieb ich, als ich das letzte mal weggesperrt war, für eine 10-tägige Entgiftung, welche Prozedere der Suchthilfe ist:

"Stadt, Land, Fluß" wurde nicht mit den Patienten im Hause 6.4. gespielt, da der Tag auch bereits 12 Stunden und 3 Tavor alt war. Somit fing der Gruppenleiter an zu sprechen und trug den Patienten die einzige obwohl unangekündigte Alternative zu.

"Ich werdet sterben (wenn ihr so weiter macht)" sagte er über eine halbe Stunde voll Monolog verteilt. Ausdrücke wie "bluten wie ein Schwein", "am eigenen Blut ersticken", sowie "man verblödet" wurden gewandt mit verschiedener Gestik und Mimik vorgetragen. Eine davon mit einem majestätisch erhobenen Kopf mitsamt emotionsloser Stimme, eine andere süffisant, nur unterbrochen von Ausbrüchen des Lachens.
Die Nebendarsteller reagieren gemischt darauf. Ein Mann schaut mit offenem Mund und hochrotem Gesicht den Rücken des Vorträgers an. Eine Dame, permanent den Blick auf den Boden gesenkt, wiederholt jeden Anfang und jedes Ende der Sätze des Erzählers. Mehrere Zuschauer verschränken nur die Arme und schweigen. Die Augen sprechen von Scham, Desinteresse oder Trauer.
Der Autor dieser Zeilen zittert vor Wut. Das ist ihm noch nie passiert. Der Großteil seiner Aufmerksamkeit gilt Uhr und Tür.
"Ihr werdet alle sterben (wenn ihr so weiter macht)". Beginn und Pointe.


So darf der geneigte Leser sich die Ferien des Schreibers vorstellen. Nicht zu empfehlen.

6
Feb
2014

Eine Wanderung

Wie fühlt sich der Autor dieses Blogs eigentlich im Alltag? Eine Dokumentation dieser Gefühlswelt wurde mal nieder geschrieben und hier ist sie. Auch bereitet unter der Kategorie "Altes" und auch einer der wenigen früheren Texte meinerseits, die ich auch heute noch ohne Ekel lesen kann.

Eine Wanderung

Entgegen der wäldlichen Idylle der bisherigen Wanderungen fängt diese mitten in der Stadt an und findet ihr Ende auch dort. Die Eindrücke zeugen keineswegs von der Faszination über die natürlichen Geheimnisse, sondern vom städtischen Alltag in all seinem durchschaubaren Fatalismus.

Sie beginnt an Stelle X, so trivial wie all die Anlaufplätze, die man täglich so anstrebt. Die Gedanken bewegen sich im eigenen Kosmos, drehen sich um die Tagesplanung, Vergangenheit und Zukunft, Philosophie und die Musik, die man durch Kopfhörer aufnimmt. Die Aufmerksamkeit führt ins Innere, bis zu diesem Zeitpunkt.

Viele Tauben springen über den Gehweg, in ihrer plump und angespannt wirkenden Manier nach Nahrung suchend, pickend und schon längst nicht mehr scheu. Bis auf eine. Diese ist keineswegs angespannt, liegt sie doch mit allen Vieren von sich gestreckt und aus dem Mund blutend mitten auf dem Gehweg. Sicherlich von einem der wenigen Autos überfahren, die den Fußgängerweg durchqueren. Nur ein Vieh, denken sicherlich die meisten. Kein Verlust, gibt eh zu viele. Auch der Autor bleibt nicht stehen, nachdem er den leblosen Körper gesehen hat. Doch prägt sich das Bild ein. Mitgefühl vermischt sich mit Tatendrang. Soll man sie aufsammeln? Begraben? Also, irgendwas sollte man doch machen. Ein Tier, sicherlich, doch ehemals auch ein Leben. Es ist dem Autor zuwider das Leben so verachtend einzuteilen, daß man auf bestimmte Ausformulierungen der Äußerlichkeit unterschiedlich reagieren sollte. Traurigkeit stellt sich ein und mittlerweile liegt die tote Taube auch bereits viele Meter hinter einem.

Irokesenschnitt, Lederjacke mit Anarchie-Patches, und seine Augen circa 30 Zentimeter vor ihm auf sein Smartphone gerichtet. Ob dieser Jugendliche, der dem Autor entgegen kommt, den toten Vogel auch bemerken wird? Sicherlich nicht. Aber warum eigentlich? Nicht nur, weil seine Aufmerksamkeit offensichtlich außerhalb dieses Weges angesiedelt ist. Naja, vielleicht bemerkt er ihn ja auch. Aber wird das auch zu einem inneren Monolog führen oder zur Seite geschoben? Sicherlich nur ein Vieh. Auf der anderen Seite, für den toten Körper selbst wird der Autor einen ähnlichen Unterschied machen wie der Jugendliche. Keinen. Irokesen und Smartphones. Das soll mal einer verstehen.

Den Bettler zu seiner Linken hat er aber definitiv nicht gesehen. Der Autor erinnert sich, eben jenem noch vor wenigen Wochen etwas Geld gegeben zu haben. Dabei weiß er schon, daß es keine wirkliche Hilfe ist. Betteln baut keine Existenzen auf. Vielleicht hat der Mann sich später eine Flasche Schnaps von gekauft. Aber der Blick des Bettlers, als er das Geld bekam, ist dem Autor noch im Gedächtnis geblieben. Es gab kein Lächeln, keine Danksagungen. Er blickte einfach nur mit seinem erschöpften Gesicht mal nicht auf den Boden sondern nach oben. Aber dieses mal bekommt er nichts, weil man ohnehin kein Geld dabei hat. Man glaubt nicht mal bemerkt worden zu sein. Er ist zu sehr damit beschäftigt sich an seinen Hund zu pressen und zu wippen um die Kälte zu bekämpfen. Gleichzeitig ruft Paul Sorvino dem Wanderer mit seinem fantastischen Tenor zu ruhigem Klavier in die Ohren:

GOLD, IT MAKES THE WORLD GO ‘ROUND.
GOLD, IT MAKES THE WORLD GO ‘ROUND.


Die eigene Haustür erscheint wie ein Hafen. Als die Tür ins Schloß fällt sind die Bilder ausgesperrt. Gott sei Dank
.

Reste und Seelen

Ich schreibe schon ewig, aber es gibt nur wenige frühere Texte, die mir auch heute noch gefallen. Diese möchte ich unter der Kategorie "Altes" in diesen neuen Blog integrieren.

Ein alter Text ist eine persönliche, halbfiktive Horrorgeschichte. Viel Spaß.

Reste und Seelen

Weder das „Pulver des Lebens“ wurde mir geschenkt, noch ist mein Name Urfin. Aber ich bin ja auch nicht die Fantasiegestalt eines verwirrten Russen, noch dient mir meine Erschaffung oder ist willentlich gezeugt. Mein Verbrechen ist Unachtsamkeit und sicherlich auch Naivität, denn könnte ich vor dieser starken Veränderung meines Lebens eben diese nicht kommen sehen, nein, hätte niemals mit gerechnet. Ich bin kein Träumer, kein Esoteriker, Drogensüchtiger oder Gestörter. Ich bin ein Mann in den 20ern, habe eine Freundin, gehe zur Uni und studiere bodenständige Themengebiete. Mein Leben ist eigentlich „im Griff“, doch bezweifle ich auch nicht, daß meine folgenden Ausführungen so manche pathologische Charakteristik aufweisen wird. Aber ich bin nicht krank. Die Erscheinungen sind gleichbleibend, ja, mehr noch, so regelmäßig, logisch und eindeutig, daß von Krankheit gar keine Rede sein kann.

Entgegen irgendwelcher Horrorklischees schreibe ich diese Worte nicht kurz vor einem Selbstmord oder einer baldigen Eskalation auf, sondern einfach, weil ich Angst habe, und zwar, vor einer Ungewissheit die ich für meinen künftigen Lebensweg erahne. Ich beginne mit einer Schilderung der Ereignisse, sowie ein paar Hintergrundinformationen, um meinen Blickwinkel auf diese Dinge auszuführen, doch möchte ich den Leser zuvor noch beschwören, daß er mich nicht zu früh abschreiben soll. Ich möchte nochmal betonen, daß es nicht der Wahnsinn sein kann der aus mir spricht. Nicht, daß ich nicht schon mal eine ähnliche Diagnose gestellt hätte, doch verging diese Ahnung und wich tatsächlicher Klarheit über die Realität der Angelegenheit.

Allem voran, ich hatte eine wohl behütete Kindheit, fernab vieler der großstädtischen Probleme, vom Mobbing bis zu den anderen Formen der Gefahr in Form von Kriminalität. Nein, in unserem kleinen Ort kannte jeder jeden und die Schule war auch nicht weit entfernt, soll heißen, es bestand ein positives Klima in diesem Umkreis. Ich möchte mit meinen Ausführungen so vorsichtig und realitätsnah wie möglich sein und deshalb noch erwähnen, daß selbstverständlich nicht immer alles wie im Schlaraffenland war und mein jetziger Lebensabschnitt ein geknoteter Strick einer illusorischen Kindheit ist, der sich nun zuzieht. Nein, wie jedes Kind hatte auch ich natürlich meine Problemchen von Zeit zu Zeit, die aber kaum nennenswert sind, sondern nur meine Bedenken des vorigen Satzes verwerfen sollen.
Ich lebte mit meinen treu sorgenden Eltern und meinem großen Bruder in einer mittelgroßen Wohnung. Das Verhältnis in der Familie war sehr gut und ich danke meinen Eltern bis heute für ihren tollen Einfluss und insbesondere ihre Eigenschaft, daß man mit ihnen über alles sprechen konnte. Mit meinem Bruder schlief ich damals noch in einem Zimmer, was gar nicht so schlecht war, weil ich ein recht ängstliches Kind war, ganz klassisch, Dunkelheit und unförmige Ungeheuer. Mein großer Bruder war aber mutiger, weil logischerweise auch älter als ich und ich hatte keine Zweifel daran, daß er alle bösen Monster bestimmt vertreiben konnte.

Aber all diese Personen sind in meiner Erzählung keine Protagonisten. Nein, außer meiner Wenigkeit spielt in diesem Stück eigentlich nur ein weiteres Ding mit.

Als ich klein war, wurde mir von unserer Nachbarin ein Kuscheltier geschenkt. Ich kann mir schon vorstellen, was für Bilder dem Leser oder den Lesern im Kopf rumspuken. Die verfluchte Puppe einer alten Hexe, die ab dato den Besitzer plagt. Meine Freundin und sicherlich baldige Ex hatte auch nicht mehr als lächerliche Horrorreferenzen für mich übrig. Die Nachbarin war wie eine zweite Mutter für mich und das Geschenk, nunja, ein wohl gemeintes Geschenk. Das Kuscheltier war ein Pinguin, neu in einem Supermarkt gekauft (zumindest gehe ich davon aus) ohne nennenswerte Merkmale. Weiße Brust, gelber Schnabel und gelbe Füße und einen schwarzen Rücken und Kopf. Der oder die Leser müssen von dieser Tatsache schrecklich enttäuscht sein, denn die Trivialität dieser ganzen Ereignisse muss sich wohl schrecklich langweilig lesen. Doch schreibe ich hier ja schließlich auch keinen Roman, sondern, wie bereits gesagt, eine Art Brief, adressiert an Niemanden, der meiner Angst Luft machen soll.

Und trivial geht es auch erst mal weiter. Dieser Pinguin war mein einziges Kuscheltier und ich hatte eine recht starke Bindung zu ihm. Sicherlich nicht so stark wie manch andere Kinder, die ihren Kuscheltieren Namen geben oder ihnen kleine Häuschen bauen. Nein, ich habe meinen Pinguin lediglich in den eigenen vier Wänden ständig mit mir rumgetragen. Wenige Jahre später noch lag er ganz ikonographisch in meinem Bett herum. Nun natürlich bereits mit der ein oder anderen Gebrauchsspur, wie etwa einem verfärbten und gar nicht mehr so weißem Bauch, einem fehlenden Auge, einem Riss auf dem Rücken, wo das weiße Innenleben raus schaute und einem zerfetzten Fuß. Ich kann nicht leugnen, daß es mich schon etwas störte, daß ein damaliger Freund ihn im Zuge eines spaßigen Abends nahm und das Loch am Rücken nutze um ihn regelrecht zu zerfetzen, aber ich war zu dieser Zeit nun definitiv aus einem Alter raus, in dem ich meinem Freund Vorwürfe für das Zerstören eines Kuscheltieres machen konnte. So flogen schon am nächsten Tag die Überreste des einst geliebten Stofftieres auf den Müll. Ein Szenario, wie es in diesem Land sicherlich täglich auftritt. Kuscheltiere werden entsorgt, wenn die Kinder sie nicht mehr brauchen, das heißt, wenn sie denken erwachsen zu sein.

Soweit die Vorgeschichte. Der Leser soll sich nun fragen, ob daran etwas ungewöhnlich ist. Denn das ist die Frage, die ich mir nächtlich stelle. Warum ich? Warum muss ich mit den Konsequenzen dieses Handelns leben, während viele, viele Menschen das ganz offensichtlich nicht müssen? Warum werde nur ich verfolgt?

Es begann vor genau 7 Monaten, 2 Wochen und 3 Tagen. Das weiß ich so genau, weil dieser Tag mein Leben veränderte. Sein „Leben im Griff“ zu haben empfand ich immer als sehr wichtig. Eben das zu tun, was man sich vorgenommen hat. Doch ich kann nicht leugnen, daß dieser Tag mein Leben völlig aus der Bahn geworfen hat, nein, mehr noch eigentlich der nächste und übernächste. Jede weitere folgende Nacht erhärtete nämlich den Verdacht, daß ich nicht nur einmal verfolgt werden sollte.
Nun aber soll der Leser auch nicht mehr länger in Unwissenheit gehalten werden, was denn nun die Plage darstellt. Ich weiß, man wird mich belächeln. Ich weiß, man wird mir Wahnsinn unterstellen, ausstoßen und auslachen. Aber ich muss es schreiben. Das, was mich verfolgt, ist mein alter Pinguin. Traurig, aber wahr. Keine Dunkelheit, keine unförmigen Ungeheuer. Jede Nacht steht dieses schwarz-weiße Flügeltier neben meinem Bett und beraubt mich mit seinen Tiraden meines Schlafes.
Ich möchte hier erwähnen, daß der Pinguin äußerlich so ziemlich jeder Pinguin sein könnte, denn sieht er seinem weggeworfenen Vorbild kaum ähnlich. Wenn ich nach wenigen Minuten Schlaf wegen seinen Monologen die Augen aufreiße steht er immer gleich neben meinem Bett, bevor er anfängt, wie durch meine geöffneten Augen getrieben, durch das Zimmer zu gehen um seine Vorwürfe weiterzuführen. Entgegen seines damals so puristischen Äußerlichen, wirft er sich für seinen nächtlichen Auftritt immer sehr in Schale. Sakko, Hemd, Krawatte und Zylinder kleiden ihn. In dem Sinne könnte man, wie gesagt, davon ausgehen, daß es nur irgendein Pinguin wäre. Doch sind seine Aussagen alles andere als unspezifisch oder unpersönlich. Ja, tatsächlich sind Vorwürfe der Anlass für seine Besuche, und zwar darüber, daß unsere gemeinsame Zeit für ihn zwischen Zigarettenstummeln, ausrangierter Kleidung und Plastiktüten endete. Meine Freundin sagte mal, daß ich mich drüber amüsieren sollte, aber ich kann ein gewisses Schuldgefühl tatsächlich nicht von mir schieben. Selbstverständlich weine ich nicht jedem unbelebten Müll hinterher, den man täglich erzeugt. Aber vielleicht füllen Emotionen, gemeinsame Zeit und kindliche Zuneigung ja doch leblose Gegenstände mit…irgendwas. Der Bauer, der seine Katze in einen Sack steckt um sie in den nahen Fluss zu werfen, die Mutter, die ihr Neugeborenes in einer Kinderklappe verstaut, das Muttertier, das seine eigenen Kinder frisst. All ihnen fühle ich mich gleich.

Doch Mitleidsbekundungen und Entschuldigungen prallen am erhabenen Wesen des Tieres ab. Früher hätte ich mir das Überlegen sollen sagt er. Unachtsamkeit und Naivität sind keine Entschuldigungen sagt er. Ich habe die Folter verdient sagt er.

Morgen ist der erste Termin mit meinem Psychiater und ich hoffe auf Medikamente. Ich brauche Schlaf und Ruhe.

Ich danke dem Leser, wer auch immer das sein mag, für seine Aufmerksamkeit.
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