1
Mrz
2014

Ian und Ich

In einem neuerlichen Anfall von Zeitüberschuss entschied ich mich dazu, erneut eines meiner am meisten geschätzten Bücher zu lesen, und zwar “Face to Face with Evil: Conversations with Ian Brady”. Aus diesem Werk werde ich hier Zitate bringen, wobei die des Autors Dr. Chris Cowley gängig gekennzeichnet und die von Brady kursiv getippt sein werden. Zu jedem dieser Sätze oder Abschnitte werde ich dann den ein oder anderen Gedankengang anhängen.

In my most recent interview with Brady after discussing various atrocities he had seen in the media, he lowered his glasses and looked me straight in the eye through his cataracts, and said, very clearly, „I wish this place and this country and this world ill” (2009). The words kind of hung in the air. On every single occasion where I tried to introduce anything positive in correspondence or during interviews, Brady would come back with a negative and bleak interpretation.

Auch ich war schon immer sehr negativ gestimmt, obwohl ich glaube, daß das sich in letzter Zeit noch verschlimmert hat. Vor wenigen Tagen traf ich eine Bekannte mit der ich früher immer rumgealbert hatte. Wir gingen mit zwei weiteren Personen ins Kino, schauten eine Komödie an und verließen ganz natürlich später den Film. Alle sprachen über das Gesehene, zitierten Witze und benannten ihre Lieblingsszenen. Dabei fühlte ich mich wie auf einem Podest stehend, um genauer zu sein, meine Gedankenmonologe bestanden aus „Das gehört wohl zu eurem Ritual, das Erlebte nun zu besprechen.“ oder „Es war klar, daß du diesen Satz sagen würdest.“, aber kein Zeichen von eigenem Spaß oder Freude, im Gegenteil, eher Leere. Dieses Gefühl sowie diese Gedankengänge sind mittlerweile meine dominierenden Emotionen wenn ich mit Menschen interagiere, die ich kenne. Dabei ist ganz besonders der beschriebene Podest-Aspekt wichtig, bei dem ich ständig eher betrachte anstatt teilnehme. Als Rohling, also alleine, ohne weiteren Einfluss natürlich abgesehen der Vergangenheit, bin ich traurig. Ich fühle mich müde, schwach, verzweifelt und schwerfällig. Körperlich ausgedrückt entspricht es einem Wüstenszenario, in dem jemand seit Tagen ohne Aussicht auf Ziel wandert und sich dem Tode nahe bewusst hinlegt, willig sein Ende zu akzeptieren. Aber es gibt noch eine dritte Emotion, welche vor allem umgeben von fremden Personen auftritt und das ist Wut. Wenn diese Fremden nicht eine Kleinigkeit „verbrechen“, wie etwa im Auto hupen oder etwas kaufen was mir nicht recht ist, und ich somit meinen Hass gegen Einzelpersonen richten kann, muss die Welt her halten. Dieser Hass ist verschlingend, den Hasser und den Gehassten. Auch Brady ist in meinen Augen ein Kind dieser Trinität der Misanthropie, weiß wie sie sich anfühlt, sich manchmal vermischt und nach außen dringt. Das Podest, unabhängig ob es nun über oder neben den anderen steht, trennt viele Menschen vom Verständnis für diese Gefühlslage.

“After borstal, I resolved never again to be involved in anything trivial.”

Trivialität ist ein sehr individueller Begriff. Ich selbst empfinde auch Sex und Bungee-Jumping als trivial, auch wenn ersteres einige Tiefen besitzt und ich letzteres zum Beispiel noch nie gemacht habe. Ich könnte nach wie vor sicherlich bis heute einen Kick von beidem erhalten, doch verhält es sich für mich bei diesen Tätigkeiten wie bei meinem naturgegeben Desinteresse an schnellen oder „schönen“ Autos. Es spricht einfach nicht zu mir. Ich weiß, daß es mir nichts geben würde mich in das Thema „Autos“ einzulesen und ab heute meine Hobbys auf Formel 1 und andere ähnliche Freizeitaktivitäten zu lenken. Doch das wäre nicht ich, es wäre gezwungen. Ich finde Autos von Grund auf langweilig, genau wie all die anderen ach-so-großen Unternehmungen, die bisher in meinem Lebenslauf fehlen. Das ist nichts einmaliges, denn:

“I felt old at twenty-six. Everything was ashes. I felt there was nothing of interest – nothing to hook myself into.”

Das liegt nicht an einem Mangel an möglichen Aktivitäten, sondern an einem Mangel an Interesse an eben diesen. Brady beschreibt seine Gefühlslage als „old“, ich nannte oben andere Adjektive. Das Gefühl ist das gleiche.

“Better to have no hope, than false hope.”

Genährt von einer vom eigenen Geist verbrauchten Welt, welche nur wenige düstere Reflektionen zulässt, brütet die Hilflosigkeit nur schwarze oder weiße Nachkommen. Die Ansichten radikalisieren sich zu einem entweder/oder.

Brady endured terribly things happening to him in his youth, but rather than trying to resolve them in a positive manner he responded by making terrible things happen to other people. But his crimes did not and could not cancel anything out. As with most serial killers, each of Brady´s murders turned out to be disappointing and simply acted as catalyst which resulted in the next one having to be even more violent and outrageous, and he still could not find peace. It is a tragedy; there is no other way to view it.

Der Existenzialismus war sehr prägend für Brady, aber auch ohne Umweg zur Philosophie ist dieser Abschnitt lediglich eine logische Konsequenz. Wenn man die ganzen „trivialen Aktivitäten“ für sich auf Seite gefegt hat, bleibt das Leben selbst (und der Tod) als einzige Quelle von Interesse bestehen. Carole Anne Davis schrieb in ihrem Buch „Women who kill“, die Absicht zum Selbstmord wäre nicht unweit von der Absicht zum Mord zu verorten, was nicht schwer vorzustellen ist. So fern dem Menschen, der nicht auf diesem Podest steht das ist, was Brady als „existencial exercise“ beschreibt, auf einer kausalen Ebene könnte ein oben beschriebenes Wesen doch verstanden werden. In einer post-apokalyptischen Welt, in der Formen des Glücks und des Zusammenseins nur noch Asche sind und kein Ziel wünschenswert erscheint, bleibt nur noch die existenzielle Übung. Hierbei führt die Leere zu nichts, denn wie sollte sie auch produktiv sein? Die Traurigkeit verschreibt sich dem Selbstmord, ohne dabei den Tod unbedingt als etwas trauriges zu betrachten, sondern lediglich als das Ende eines Weges. Die Wut zu guter Letzt führt zu Mord, wobei das zu erläutern ist. Das heißt nicht, daß solche Gewaltverbrechen mit schäumendem Mund in einem Ausbruch des Ärgers ausgelebt werden. Wut arbeitet hier subtiler und veräußerlicht sich deshalb, wie in den letzten fünfzig Jahren auch vermehrt festgestellt werden kann, auf Opfer welche in keinem provokanten Verhältnis zum Mörder standen, was gerade bei Brady zutrifft. Die Wut auf die eigene Unzulänglichkeit, welche sich auf die Welt überträgt versteckt sich in der Form einer logischen und wünschenswerten Entscheidung, welche der letzte Strohhalm ist, ähnlich wie der Selbstmord. Jedoch:

Once a potential serial killer has murdered for the first time, they have more or less murdered themselves, whether they are apprehended or not. Any lofty ideals of superhuman choice/power are effectively destroyed once the murders start. The killer becomes just as trapped by their actions as any of their victims ever were. Then, when it finally dawns on them that they have destroyed their own lives just as effectively as they have destroyed the lives of the people they have killed, they realize that they have essentially marked out and dug their own grave. Serial killers are deeply sad people who can take no joy whatsoever in anything they derive from life, seeing only unhappiness that reflects their own miserable state, both before and after they are apprehended. Shortly before his execution, Ted Bundy stated that his murders never really achieved what he wanted them to. His killings left him unsatisfied and depressed.

Was für eine Tragödie, um die Worte von Dr. Cowley zu benutzen, wäre es auch, wenn dieser Strohhalm namens „Mord“ die erwünschte Befriedigung bringen würde? Es gibt Menschen, welche am liebsten in der Welt aufgehen würden, mit guten Absichten und vielen Ideen. Manche kämpfen ein Leben lang dafür und gehen so in ihren Absichten auf. Andere romantische Idealisten verzagen dagegen an der Übermacht der Unmöglichkeit.

The most powerful human appetite is a craving for meaning, if this is denied, it may turn sour or violent.

Viele dieser in meinen Augen einerseits von einem Maß an Sensibilität, andererseits von der eigenen Prägung abhängenden Triebfedern sind Kausalitäten, welche mit ein paar wenigen zusätzlichen Ingredienzien diesen Schlag Mensch erschafft. Der Buchtitel selbst heißt „Face to Face with Evil“, obwohl:

Brady expresses remorse through actions. Most of his are derailed, refused or belittled by the Ashworth authorities. A number of years ago, he attempted to donate a kidney to someone, anyone who needed one; this was refused by the authorities. He spent over 20 years transcribing classical texts into Braille for blind people until the authorities removed his transcription machine, claiming it might be a dangerous weapon. He gives what little money he gets (and is not allowed to keep) to charity. The Ashworth authorities block this every step of the way and confiscate simple thank-you gifts that are sent from the charities he has tried to contribute to.

Leider nicht. Weder das personifizierte Übel, noch der Teufel selbst. Ein Kind dieser Zeit, mit schlechten Voraussetzungen. Selbstmord wäre wohl für alle Beteiligten besser gewesen.

Basically, our sanity depends on narrowness of vision.

- Haigha
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