6
Feb
2014

Reste und Seelen

Ich schreibe schon ewig, aber es gibt nur wenige frühere Texte, die mir auch heute noch gefallen. Diese möchte ich unter der Kategorie "Altes" in diesen neuen Blog integrieren.

Ein alter Text ist eine persönliche, halbfiktive Horrorgeschichte. Viel Spaß.

Reste und Seelen

Weder das „Pulver des Lebens“ wurde mir geschenkt, noch ist mein Name Urfin. Aber ich bin ja auch nicht die Fantasiegestalt eines verwirrten Russen, noch dient mir meine Erschaffung oder ist willentlich gezeugt. Mein Verbrechen ist Unachtsamkeit und sicherlich auch Naivität, denn könnte ich vor dieser starken Veränderung meines Lebens eben diese nicht kommen sehen, nein, hätte niemals mit gerechnet. Ich bin kein Träumer, kein Esoteriker, Drogensüchtiger oder Gestörter. Ich bin ein Mann in den 20ern, habe eine Freundin, gehe zur Uni und studiere bodenständige Themengebiete. Mein Leben ist eigentlich „im Griff“, doch bezweifle ich auch nicht, daß meine folgenden Ausführungen so manche pathologische Charakteristik aufweisen wird. Aber ich bin nicht krank. Die Erscheinungen sind gleichbleibend, ja, mehr noch, so regelmäßig, logisch und eindeutig, daß von Krankheit gar keine Rede sein kann.

Entgegen irgendwelcher Horrorklischees schreibe ich diese Worte nicht kurz vor einem Selbstmord oder einer baldigen Eskalation auf, sondern einfach, weil ich Angst habe, und zwar, vor einer Ungewissheit die ich für meinen künftigen Lebensweg erahne. Ich beginne mit einer Schilderung der Ereignisse, sowie ein paar Hintergrundinformationen, um meinen Blickwinkel auf diese Dinge auszuführen, doch möchte ich den Leser zuvor noch beschwören, daß er mich nicht zu früh abschreiben soll. Ich möchte nochmal betonen, daß es nicht der Wahnsinn sein kann der aus mir spricht. Nicht, daß ich nicht schon mal eine ähnliche Diagnose gestellt hätte, doch verging diese Ahnung und wich tatsächlicher Klarheit über die Realität der Angelegenheit.

Allem voran, ich hatte eine wohl behütete Kindheit, fernab vieler der großstädtischen Probleme, vom Mobbing bis zu den anderen Formen der Gefahr in Form von Kriminalität. Nein, in unserem kleinen Ort kannte jeder jeden und die Schule war auch nicht weit entfernt, soll heißen, es bestand ein positives Klima in diesem Umkreis. Ich möchte mit meinen Ausführungen so vorsichtig und realitätsnah wie möglich sein und deshalb noch erwähnen, daß selbstverständlich nicht immer alles wie im Schlaraffenland war und mein jetziger Lebensabschnitt ein geknoteter Strick einer illusorischen Kindheit ist, der sich nun zuzieht. Nein, wie jedes Kind hatte auch ich natürlich meine Problemchen von Zeit zu Zeit, die aber kaum nennenswert sind, sondern nur meine Bedenken des vorigen Satzes verwerfen sollen.
Ich lebte mit meinen treu sorgenden Eltern und meinem großen Bruder in einer mittelgroßen Wohnung. Das Verhältnis in der Familie war sehr gut und ich danke meinen Eltern bis heute für ihren tollen Einfluss und insbesondere ihre Eigenschaft, daß man mit ihnen über alles sprechen konnte. Mit meinem Bruder schlief ich damals noch in einem Zimmer, was gar nicht so schlecht war, weil ich ein recht ängstliches Kind war, ganz klassisch, Dunkelheit und unförmige Ungeheuer. Mein großer Bruder war aber mutiger, weil logischerweise auch älter als ich und ich hatte keine Zweifel daran, daß er alle bösen Monster bestimmt vertreiben konnte.

Aber all diese Personen sind in meiner Erzählung keine Protagonisten. Nein, außer meiner Wenigkeit spielt in diesem Stück eigentlich nur ein weiteres Ding mit.

Als ich klein war, wurde mir von unserer Nachbarin ein Kuscheltier geschenkt. Ich kann mir schon vorstellen, was für Bilder dem Leser oder den Lesern im Kopf rumspuken. Die verfluchte Puppe einer alten Hexe, die ab dato den Besitzer plagt. Meine Freundin und sicherlich baldige Ex hatte auch nicht mehr als lächerliche Horrorreferenzen für mich übrig. Die Nachbarin war wie eine zweite Mutter für mich und das Geschenk, nunja, ein wohl gemeintes Geschenk. Das Kuscheltier war ein Pinguin, neu in einem Supermarkt gekauft (zumindest gehe ich davon aus) ohne nennenswerte Merkmale. Weiße Brust, gelber Schnabel und gelbe Füße und einen schwarzen Rücken und Kopf. Der oder die Leser müssen von dieser Tatsache schrecklich enttäuscht sein, denn die Trivialität dieser ganzen Ereignisse muss sich wohl schrecklich langweilig lesen. Doch schreibe ich hier ja schließlich auch keinen Roman, sondern, wie bereits gesagt, eine Art Brief, adressiert an Niemanden, der meiner Angst Luft machen soll.

Und trivial geht es auch erst mal weiter. Dieser Pinguin war mein einziges Kuscheltier und ich hatte eine recht starke Bindung zu ihm. Sicherlich nicht so stark wie manch andere Kinder, die ihren Kuscheltieren Namen geben oder ihnen kleine Häuschen bauen. Nein, ich habe meinen Pinguin lediglich in den eigenen vier Wänden ständig mit mir rumgetragen. Wenige Jahre später noch lag er ganz ikonographisch in meinem Bett herum. Nun natürlich bereits mit der ein oder anderen Gebrauchsspur, wie etwa einem verfärbten und gar nicht mehr so weißem Bauch, einem fehlenden Auge, einem Riss auf dem Rücken, wo das weiße Innenleben raus schaute und einem zerfetzten Fuß. Ich kann nicht leugnen, daß es mich schon etwas störte, daß ein damaliger Freund ihn im Zuge eines spaßigen Abends nahm und das Loch am Rücken nutze um ihn regelrecht zu zerfetzen, aber ich war zu dieser Zeit nun definitiv aus einem Alter raus, in dem ich meinem Freund Vorwürfe für das Zerstören eines Kuscheltieres machen konnte. So flogen schon am nächsten Tag die Überreste des einst geliebten Stofftieres auf den Müll. Ein Szenario, wie es in diesem Land sicherlich täglich auftritt. Kuscheltiere werden entsorgt, wenn die Kinder sie nicht mehr brauchen, das heißt, wenn sie denken erwachsen zu sein.

Soweit die Vorgeschichte. Der Leser soll sich nun fragen, ob daran etwas ungewöhnlich ist. Denn das ist die Frage, die ich mir nächtlich stelle. Warum ich? Warum muss ich mit den Konsequenzen dieses Handelns leben, während viele, viele Menschen das ganz offensichtlich nicht müssen? Warum werde nur ich verfolgt?

Es begann vor genau 7 Monaten, 2 Wochen und 3 Tagen. Das weiß ich so genau, weil dieser Tag mein Leben veränderte. Sein „Leben im Griff“ zu haben empfand ich immer als sehr wichtig. Eben das zu tun, was man sich vorgenommen hat. Doch ich kann nicht leugnen, daß dieser Tag mein Leben völlig aus der Bahn geworfen hat, nein, mehr noch eigentlich der nächste und übernächste. Jede weitere folgende Nacht erhärtete nämlich den Verdacht, daß ich nicht nur einmal verfolgt werden sollte.
Nun aber soll der Leser auch nicht mehr länger in Unwissenheit gehalten werden, was denn nun die Plage darstellt. Ich weiß, man wird mich belächeln. Ich weiß, man wird mir Wahnsinn unterstellen, ausstoßen und auslachen. Aber ich muss es schreiben. Das, was mich verfolgt, ist mein alter Pinguin. Traurig, aber wahr. Keine Dunkelheit, keine unförmigen Ungeheuer. Jede Nacht steht dieses schwarz-weiße Flügeltier neben meinem Bett und beraubt mich mit seinen Tiraden meines Schlafes.
Ich möchte hier erwähnen, daß der Pinguin äußerlich so ziemlich jeder Pinguin sein könnte, denn sieht er seinem weggeworfenen Vorbild kaum ähnlich. Wenn ich nach wenigen Minuten Schlaf wegen seinen Monologen die Augen aufreiße steht er immer gleich neben meinem Bett, bevor er anfängt, wie durch meine geöffneten Augen getrieben, durch das Zimmer zu gehen um seine Vorwürfe weiterzuführen. Entgegen seines damals so puristischen Äußerlichen, wirft er sich für seinen nächtlichen Auftritt immer sehr in Schale. Sakko, Hemd, Krawatte und Zylinder kleiden ihn. In dem Sinne könnte man, wie gesagt, davon ausgehen, daß es nur irgendein Pinguin wäre. Doch sind seine Aussagen alles andere als unspezifisch oder unpersönlich. Ja, tatsächlich sind Vorwürfe der Anlass für seine Besuche, und zwar darüber, daß unsere gemeinsame Zeit für ihn zwischen Zigarettenstummeln, ausrangierter Kleidung und Plastiktüten endete. Meine Freundin sagte mal, daß ich mich drüber amüsieren sollte, aber ich kann ein gewisses Schuldgefühl tatsächlich nicht von mir schieben. Selbstverständlich weine ich nicht jedem unbelebten Müll hinterher, den man täglich erzeugt. Aber vielleicht füllen Emotionen, gemeinsame Zeit und kindliche Zuneigung ja doch leblose Gegenstände mit…irgendwas. Der Bauer, der seine Katze in einen Sack steckt um sie in den nahen Fluss zu werfen, die Mutter, die ihr Neugeborenes in einer Kinderklappe verstaut, das Muttertier, das seine eigenen Kinder frisst. All ihnen fühle ich mich gleich.

Doch Mitleidsbekundungen und Entschuldigungen prallen am erhabenen Wesen des Tieres ab. Früher hätte ich mir das Überlegen sollen sagt er. Unachtsamkeit und Naivität sind keine Entschuldigungen sagt er. Ich habe die Folter verdient sagt er.

Morgen ist der erste Termin mit meinem Psychiater und ich hoffe auf Medikamente. Ich brauche Schlaf und Ruhe.

Ich danke dem Leser, wer auch immer das sein mag, für seine Aufmerksamkeit.
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