20
Jan
2014

Tz, als wäre ich ein Löwe

"I'm nobody
I'm a tramp, a bum, a hobo
I'm a boxcar and a jug of wine
And a straight razor ...if you get too close to me.
"

- Charles Manson

Ich kann mich in diese Zeilen wunderbar reinversetzen. Auch ich bin nicht der Rede wert, was nicht wehleidig oder traurig klingen soll. Aber gerade das „Nobody“, insbesondere im Bezug zu charakterlichen Eigenschaften hängt mir sehr nach. Schon, es mag normal sein sich gegenüber Freunden und Bekannten, Chef und Arbeitskollegen, Fremden und Kunden anders zu verhalten. Doch kommt es mir vor, als wäre mein Charakter so flatterhaft, so kaleidoskopisch, daß ich schon gar nicht mehr erkenne, wo ich denn eigentlich stehe. Wenn ich nun durch meinen Alltag gehe, freundlich und lustig bin, den Menschen sage, daß es mir gut geht und in jedweder Hinsicht den Eindruck des freundlichen Mitbürgers erwecke, mit Eigenheiten, selbstverständlich, dann aber abends in meinem Turmzimmer sitze, mich betrinke und an allem labe was mit Tod, Verderben, Mord, Selbstmord, Folter und Drogenrausch zu tun hat, dann frage ich mich, ob letzteres der einzige nachvollziehbare Charakterzug meinerseits ist.

Neulich betrank ich mich abends wieder, zog einen Anzug an und trug mir Clownschminke auf. Ich fotografierte mich dann mit einer leeren Flasche Whisky in der Hand, weinend. Vor einer Woche schnitt ich mir nach einer Flasche Wodka mit meinen neuen Küchenmessern acht zeigefingerlange Schnitte in meinen Unterarm und fotografierte das viele Blut. Als ich dann am nächsten Tag müde und mit schmerzendem Arm zur Arbeit ging, ausnahmsweise mit einem langärmeligen Hemd, damit man die Wunden nicht sieht, antwortete ich auf die Frage „Wie gehts?“ meiner Chefin, mit „Gut.“.

Schauspielern ist anstrengend. Ich stolpere zeitweise über die Wörter in meinen Gedanken, während ich von heiler Welt rede. Gott sei Dank sind normale Antworten meist kurz und schnell abgehakt. Die Antwort „Mir geht es elendig. Ich fühle mich in dieser Welt einfach nicht zuhause. Der fantasiereiche Kosmos meiner Kindheit wurde zu schnell durch Verpflichtungen und Ernsthaftigkeit ausgetauscht. Verdammt, ich möchte im Wald spielen gehen.“ wäre nur ein kleiner Einblick und würde sicherlich schon dazu führen, daß mir geraten würde professionelle Hilfe zu suchen. Aber das habe ich schon. Ich habe drei Therapietermine pro Woche. Montags Gruppe für Drogensucht, Dienstags Psychotherapie und Freitags Einzeltermin für Drogensucht, und bei allen habe ich mich ursprünglich freiwillig gemeldet. Aber auch hier führt mein flatterhaftes Wesen dazu, daß ich die Termine an sich gerne wahrnehme weil sie immer interessant sind, jedoch auch da oft schauspiele. Man könnte nun meinen, daß ich es mit Profis zu tun habe, die solche, ich möchte es nicht bagatellisieren, Lügen ohnehin durchschauen. Doch auch ich bin ein Profi meiner Profession.

Mir rotierte neulich das Wort „treat“ im Kopf und der Gedanke, ob nicht jeder so etwas braucht. Meine Definition des Wortes, zumindest wenn ich es benutze, wäre etwas, daß man sich nach einem anstrengenden Arbeitstag genehmigt. Ich weiß von manchen Menschen, daß sie dafür Schokolade benötigen, Nähe zu anderen Menschen, die Zeitung oder einen Film, ein Glas Wein oder eine Zigarette. Auch ich habe sowas nötig, doch ganz meinem extremisierenden Wesen entsprechend ist es der Wein, und davon 2 Flaschen. Ich kann nicht sagen, daß es nicht beruhigt an sich rum zu schneiden, aber kann man das nicht ständig machen.

Ich habe immer mal wieder monatelange Abstinenzphasen in denen ich den Alkohol vermeide. Ich würde nicht mal sagen, daß mir das schwer fällt. Doch auch hier brauche ich einen dieser „treats“. Ich habe dann angefangen als Nichtraucher mir hie und da mal eine Zigarette zu gönnen. Das Wort „gönnen“ hat hier einen regelrecht komödiantischen Aspekt, denn ist es letzten Endes das genaue Gegenteil. Rauchen führt bei mir zu Übelkeit, Schwindel, kaltem Schweiß und Blässe. Soll heißen, wenn ich meinen Körper schon nicht durch Alkohol zugrunde richte, dann finde ich immer andere Wege. Ich bin nicht polytox, absolut gar nicht. Ich bin niemals auf Nikotin angesprungen und auch Cannabis spricht mich nicht an. Mehr noch, ich finde Alkohol eigentlich abartig. Ich hasse betrunkene Menschen, fühle mich unwohl auf diesen suffgeschwängerten Massenveranstaltungen und empfinde sogar den Geschmack als anstrengend. Doch, was das Beispiel mit den Zigaretten andeuten soll, geht es nicht um eine Substanz. Es ist der grundlegende Drang zur Auslöschung, zur Leere, zur Einsamkeit.

In dem Raum, in dem wir die Gruppentherapie halten hängt ein großes Bild im Hintergrund, welches einen Leuchtturm an einer Küste zeigt, an dem eine Holzhütte angebunden ist. Obwohl der Fokus auf dem Turm und dem Haus liegt, mitsamt dem Meer im Hintergrund, erweckt das Bild den Eindruck, daß meilenweit um diese Architektur keine Menschenseele lebt, bis auf den alten, grauen und verschrobenen Mann, der die Technik verwaltet und die Seefahrer vor den gefährlichen Felsen rund um die Küste schützt. Natürlich ist dieser auf dem Bild nicht abgebildet. Obwohl meine eigentliche Liebschaft zur Kunst sich irgendwo zwischen Dadaismus und Futurismus findet, können mich solche Werke auch zutiefst ansprechen. Ich stelle mir dann vor, wie es da riechen wird und wie es sich vor Ort anfühlt. Die frische, kalte und klare Luft, der Geruch von Meer und dem Holz der Hütte. Geräusche von Wellen, die gegen die Küste stoßen, das Krächzen der Vögel und der Wind der ins Ohr rauscht. All das und trotzdem Stille. Ich stelle mir diesen Ort schöner vor als alles was ich bisher erfahren habe.

Doch ob das eine Lösung wäre? Vor zwei Jahren war ich mal mit Freunden im Elbsandsteingebirge auf Wanderschaft und genoss all die Leere und Weite. Es gab Plätze an denen man keine städtischen Geräusche wahrnahm und Orte, an denen bis zum Horizont nur Fels und Wald zu sehen war. Ja, ich fand es großartig. Doch am vorletzten Tag konnte ich den Gedanken nicht von mir weisen, daß das ohnehin alles nur Illusion ist. Was mache ich mir vor? In spätestens 10 Kilometern Entfernung ist alles wie immer. Man gerät von einem Käfig in einen Käfig, wie Yukio Mishima mal schrieb.

“When a captive lion steps out of his cage, he comes into a wider world than the lion who has known only the wilds. While he was in captivity, there were only two worlds for him - the world of the cage, and the world outside the cage. Now he is free. He roars. He attacks people. He eats them. Yet he is not satisfied, for there is no third world that is neither the world of the cage nor the world outside the cage.”

Tz, als wäre ich ein Löwe...
logo

Märzhases Tagebuch

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Ich bin jetzt bei
https://0179f1.wixsite.com /website Stromert bitte...
Märzhase - 21. Mär, 00:41
#25
Haigha war betrunken. Dreiviertel betrunken könnte...
Märzhase - 24. Feb, 23:17
#26
Wusstest du eigentlich das J tot ist? Nein, woher...
Märzhase - 24. Feb, 23:01
Und so
Meine Wochenende verbringe ich mit dem Sturz in den...
Märzhase - 8. Feb, 22:23
<3
Life in a nutshell. And yet the squirrels won't digest...
Nighfothelepus - 16. Mär, 15:13

Links

Suche

 

Status

Online seit 3778 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 21. Mär, 00:41

Credits


Alltag
Altes
Grundlegendes
Tag
Unsinn
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren