14
Jun
2015

Guten Morgen

Er spürte schon im Liegen, wie sein Bein anfing zu schmerzen. Haigha sprang aus seinem Bett auf und hielt sich an der kleinen tragenden Säule in seinem Schlafzimmer fest um den Unterschenkelkrampf schnellstmöglich los zu werden. Es war zu spät gewesen. Die Schmerzen liessen zwar schnell nach, jedoch war der Muskel völlig verhärtet und würde wahrscheinlich ein bis zwei Tage weh tun. Als nächstes meldete sich nun der Kreislauf, welcher durch den schweren Kater, die Kürze des Schlafes und die Geschwindigkeit des Aufstehens außer Kontrolle geraten war. Es hieß die Übelkeit zu unterdrücken, sich zu konzentrieren, die Temperaturschwankungen zu ertragen und nur ein paar Sekunden durchzuhalten bis es vorbei ist. Das war einer dieser Morgen auf den man ein paar Stunden später zurück schaut und nur mit dem Kopf schütteln kann. Was für ein Elend. Neben dem Bett lagen etwa 20 Magnesiumtabletten, welche er aus der Reha mitgebracht hatte. Ohnehin jetzt zu spät eine zu nehmen, aber was solls.

Nach dem Gang zur Toilette öffnete Haigha den Topfdeckel seiner zwei Euro Pasta von vor zwei Tagen. Riecht zumindest noch in Ordnung. Er schob sich mehrmals fünf Gabeln in den Mund, die er nach dem vollmundigen kauen immer wieder in den Topf hackte. War wirklich noch in Ordnung, trotz der Hitze im Haus. Es musste schon recht spät sein. Draußen war es sehr hell. Doch kein kurzer Schlaf.
Er zog sich aus und ging unter die Dusche. Seit etwa drei Monaten kam nur noch kaltes Wasser raus. Er wollte es dem Vermieter nicht mitteilen, da er dann bestimmt auch auf die drei fehlenden Überweisungen der Miete angesprochen würde. Das einzige was er von Mietrecht wusste war, daß man nach zwei nicht überwiesenen Mieten fristlos gekündigt werden kann. So ist das. Er schob den Duschkopf zur Seite und bespritzte sich erst mit etwas kaltem Wasser, bevor er seine Arme und Beine unter die Brause halten konnte. Die eigentliche Kälte des Wassers wechselte täglich, vielleicht aber auch nur das Empfinden. Heute war es ganz in Ordnung. Das Haarewaschen gestaltete sich am schwierigsten, da sich der Rücken als besonders kälteempfindlisch erwies. Haigha hatte mal gelesen, daß Ernst Jünger jahrelang nur kalt geduscht hätte. Er sträubte sich innerlich gegen den Gedanken, daß das was sei, was man betonen und in irgendwelche Bücher schreiben musste.

In Boxershorts gekleidet ging er zurück in sein Schlafzimmer, schaltete den Laptop und den Ventilator an, welcher neben dem Stuhl stand. Er fühlte sich nicht gut. Keine Kopfschmerzen, aber tiefsitzende Unmut, ein flauer Magen und der angeschlagene Kreislauf. Es war bereits abends, etwa sieben Uhr. Das mussten etwa fünfzehn Stunden Schlaf gewesen sein, sicherlich eine Kombination des Alkohols und der Medikamente. Vielleicht aber auch die Tatsache, daß er schon seit 5 Tagen am durchtrinken war und der eigentliche Tagesrhytmus noch an die strengeren Richtlinien der Klinik gewöhnt war. "Wenn die mich jetzt sehen könnten".

Neben ihm standen noch Bierdosen und die letzte Rotwein und Cola Mischung vom Vortrag, welche gewaltig stank. Vier Dosen Bier und zwei Flaschen Wein an einem Abend, die Klinik hatte sein Durchhaltevermögen nicht geschwächt. Es befanden sich noch etwa 12 kalte Dosen im Kühlschrank, sicherlich genug für einen weiteren Abend Ablenkung.
So sehr man denken sollte, daß ein solcher Morgen vom Alkohol und der Begierde nach Rausch entfernt, das Gegenteil ist der Fall. Haigha wollte mit diesem Tag nichts mehr zu tun haben. In zwei Stunden würde er sich das erste Bier auf machen. Vielleicht auch schon in einer Stunde.

Die leeren Dosen hatte Haigha bereits vom Tisch geräumt, als er sich eine volle hin stellte. Auch die Rotweinreste hatte er weggeschüttet. Von diesem Wein im Plastikkarton musste man sich immer schnell verabschieden. Er hatte mal Bekanntschaft damit gemacht, wie sehr Mücken auf das süße Zeug abfahren, beziehungsweise, wie schnell auch diese süchtig nach wurden. Im letzten Sommer hatte das zu einer regelrechten Plage geführt. Kleine Mücken, rot gefärbt wie der Wein den sie liebten, waren nur mit längerer Abstinenz loszuwerden gewesen. Haigha vermutete, daß dahinter bestimmt eine offensichtliche Analogie stecken könnte, aber er hatte keine Lust gerade darüber nachzudenken.
Ein Drittel des ersten Bieres verschwand in seinem Rachen und aus irgendeinem Grund musste er drüber nachdenken, daß seine zweite Freundin ihm immer gesagt hatte, daß er "ekelhaft trinkt". Also, Alkohol. Er würde immer so fanatisch auf das Bier schielen während er trinke. Stimmt, noch heute. Obwohl er es mittlerweile schneller trinken konnte, weil er beim Trinken seinen Kopf stärker in den Nacken legte. Selbstverständlich nicht in der Öffentlichkeit, wo es sicherlich zu peinlich berührten Blicken führen würde, aber hier, zuhause, in seinen vier Wänden.


Haigha entschied sich, mit dem ersten Bier ein paar Videos anzuschauen, vornehmlich solche, wo sich andere verletzten. "Fail-Videos". Er hatte gemerkt, daß das seine Trinklust fördert und somit eine bestimmte Seite abonniert, die er Videos ansammeln ließ, welche er dann immer fast schon feierlich mit den ersten Bieren verband. Er war noch müde und stützte seinen Kopf auf die Hände, der während besonders ironischen Unfällen in den Videos auflachte. Kein wirkliches Lachen. Etwas, daß man versprachlicht mit "Hm!" veranschaulichen könnte. Nur ohne das Ausrufezeichen.
Vier Biere sind schnell verschwunden und eine gewisse Entspannung machte sich breit, welche nicht ohne Nebenwirkungen ist. Schreiblust, Blutlust, kontrollierte Aggression sind es zum Teil, aber auch in einem solchen Setting entpuppt sich der Alkohol manchmal als soziales Schmiermittel und Haigha schämte sich deswegen regelrecht. So sehr er sich auf seine verheimlichende Genialität etwas einbildete, sein Umfeld wusste um den Alkoholismus. Er hatte die Angewohnheit im volltrunkenen Zustand des Nachts manchmal noch mit Freunden online zu spielen. Da hieß es die Trunkenheit zu unterdrücken und zu verleugnen. Haigha erinnerte sich, daß er beim Spielen mal eine Weintüte einschneiden wollte und dabei seinen Finger schwer aufschlitzte, so sehr, daß er eine Blutspur zum Badezimmer zog. Er sagte seinen Mitspielern über das Mikrofon, daß es der Eistee sei den er einschneiden wollte und bekam die passende Antwort. "Einschnitt einer Weintüte, stimmts?"
Für notorische Lügner ist es trotz allem noch ein Schlag vor die Stirn, wenn man auf frischer Tat ertappt wird. Man reagiert naturgemäß berechenend drauf, aber das Gefühl des Aufgeflogen-Seins steht weiterhin im Raum.

Eigentlich wünschte sich Haigha vor dem Vollrausch immer, daß er, wenn seine Lebenslust am Ende der Nacht schwand, Philosophie und Abgrund seine Beschäftigung gewesen sein sollten. Das wären dann zufriedenstellende Abende und Nächte. Nicht so wie gestern und heute.
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