11
Jul
2015

Im A

Haigha setzte sich hin und schaute auf den Zettel, dem ihm die Maschine gerade zugesteckt hatte. 217 war seine Zahl, noch 18 Aufrufe vom seinem entfernt. Er schaute auf den Zettel und sah, daß eine Internetadresse drauf stand, welche mit "-aufrufanlagen.de" endete. Mann, gab es echt Firmen in denen nur das hergestellt wurde? Zur Trauer mischte sich Verzweiflung und Haigha verzog unbewusst das Gesicht und dachte an eine Firma in dem nur die grauen Herren aus Momo angestellt würden. Er dachte an dunkle Hallen mit dunklen Förderbändern, aber so war das natürlich nicht.

Haigha hatte schon öfters mit Zeitarbeit zu tun gehabt. Seine erste und prägendste Erfahrung, obwohl es bessere gegeben hatte, war in einer Firma gewesen, die augenscheinlich hauptsächlich Zahnpasta mit Zahnbürsten zusammen band um Sonderangebote zu produzieren. So fern war das gar nicht von seiner Idee mit den grauen Herren entfernt. Es gab ein Fließband an dessen Anfang die Produkte ausgepackt wurden, also Zahnpasta und Zahnbürsten, und auf das Band gegeben wurden, damit die nächsten Arbeiter es prüften und aneinander banden. Am Ende der Schlange wurde das fertige Ergebnis dann wiederum verpackt. Es gab keine Erlaubnis, obwohl man Mann an Mann stand, sich zu unterhalten. Stimmen kamen also nur vom Ende des Bandes, an dem Frauen standen, welche Sätze wie "Das geht schneller" oder "Macht mal hinne" ruften.
Alles hatte eine feindselige Stimmung. In den Pausen setzte man sich nach draußen, bloß weg von der schlechten Luft, um sich zu unterhalten. Die Gespräche waren geprägt von verbaler Rebellion. Manche bestanden darauf, daß wenn ihnen einer "komisch kommt" sie sofort gehen würden, was im krassen Gegensatz zu dem stand was Haigha wenige Stunden vorher von ihnen gesehen hatte. Wiederrum andere schienen überdankbar für die Arbeit, überdankbar dafür "daß sie überhaupt etwas haben". Letzteres hatte einen logischen Ansatz. Es war im Prinzip so, daß eine Schlange von Menschen vor der Halle stand, welche alle eine Arbeit haben wollten für die man keine Ausbildung brauchte. Eigentlich ist das, ohne politisch werden zu wollen, die große Abhängigkeitsfrage, dachte Haigha. Man gebe Menschen eine Währung welche sie zum Leben brauchen und mache diese nur dann zu erlangen, wenn man sich besonders gut verhält. Das heißt in diesem Falle den Schreien der Einpacker Folge zu leisten und bloß nicht zu reden. Haigha konnte beides nicht besonders gut und flog nach einer kurzen Auseinandersetzung nach 3 Tagen raus. Die Schlange rückt nach, nicht erwähnenswert.

"Ding-Dong" schallte es durch den Wartesaal. Haigha schaute weiterhin unbewusst, dieses mal zum x-ten Male auf seinen kleinen Zettel mit der Zahl 217. Noch 12 andere Zahlen.

Ihm gegenüber saß eine stark übergewichtige schwarze Frau, welche todtraurig aussah, aber vielleicht war das auch nur ihr Gesicht. Sie war auf jeden Fall vor Haigha gekommen und somit natürlich früher dran als er. Trotz ihrer Trauer, oder zumindest Haighas angenommener Trauer, sah sie irgendwie motiviert aus. Vielleicht war sie bald dran, aber nie ließ sie ihre Tasche auf den Boden oder den Sitz neben ihr sinken. Ihr ganzer Körper schrie Aufbruchsbereitschaft. Bis auf ihr Gesicht.
Ein Mann, definitiv nach Haigha gekommen, setzte sich gar nicht erst nieder. Er sah aus wie über 60, aber geistig weitaus anwesender als der Rest. Inklusive Haigha. Der ältere Mann ging herum und pickte sich die Informationsbroschüren aus den Ständern, welche vielfach in dem Wartesaal verstreut waren und studierte sie genauestens. Haigha dachte sich ähnliche Szenarien, welche er sich in der Klinik gedacht hatte. Ist es nicht irgendwann mal genug? Spät genug um sich eine Sucht ab- oder ein Arbeitsleben anzugewöhnen? Naja, zumindest schien er nicht gezwungen.
"Ding-Dong", die schwarze Frau steht blitzschnell auf. Zeitweise, wenn die Wände nicht so grau wären, kommt einem die Wartehalle wie ein Kindergarten vor. Überall sitzen Frauen mit Kinderwagen. Andere, ältere Kinder, laufen schreiend durch den Raum, werfen Broschüren auf den Boden, drücken auf die Aufzugknöpfe, werfen sich auf den Boden oder spielen am Wasserspender. Bis auf die Aufrufanlage bieten sie die einzige Geräuschkulisse.

"Ding-Dong", Nummer 212 wird aufgerufen. Haigha dachte drüber nach, daß er sich manchmal wie Bukowski fühlte, aber er war kein Bukowski. Haigha hatte nicht immer den Willen zu schreiben, er war kein geborener Schreiber. Auch war er kein Stecher. Bukowski war ein Stecher gewesen. Haigha dachte zurück an seine letzte Liebschaften bei denen er zu besoffen und traurig gewesen war um es zu sexueller Fähigkeit zu bringen. Alkoholismus und Melancholie, ja durchaus, aber kein Bukowski. Nein, nicht wegen Jobsuche. Auch hatte Haigha beim Lesen von Bukowski immer gedacht, daß dieser ohne Angst gewesen wäre. Das mochte falsch sein, aber gerade zählte der Eindruck. Nein, kein Bukowski.

"Ding-Dong", Haigha stand auf und ging zum Zimmer 3.

"Ich habe schon vor sechs Monaten meinen neuen Mietvertrag abgegeben. Sie haben mir bis heute nicht die zusätzlichen 150 Euro bezahlt. Ich habe Probleme, ich mache mir Sorgen um mein Obdach. Ich habe sie schon öfters drauf hingewiesen, aber nie kam eine Reaktion."

"Herr Hase, der Grund dafür ist, daß in ihrem Mietvertrag keine Nebenkosten angegeben sind und unser Computer keine Nullen in diesen Feldern annimmt. Ich gebe ihnen diesen Antrag mit, in dem ihr Vermieter das dann angeben kann."

"Der Vermieter, dem ich seit zwei Monaten keine Miete bezahlt habe und von dem ich erwarte, daß er mich bald rauswirft? Ich habe doch in früheren Verträgen auch keine Aufspaltung der Miete angegeben. Warum muss ich das jetzt tun?"

"Unser Computer kann das so nicht mehr einsehen. Da müssen sie ihren Vermieter dann eben nochmal etwas beruhigen."

Haigha verließ das Amt gefüllt mit Trauer. Er dachte an seine Freunde, die nun sagen würden, daß er mal dort auf den Tisch hauen und seinen Standpunkt äußern müsste. Haigha wollte nur nach Hause und sich betrinken
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