Grundlegendes

24
Feb
2015

Demütigung

Ganz wichtig für die Entwicklung eines Menschen ist, daß er einmal erfahren hat, wie weit man es bringen kann, das Menschsein. Mein Leben ist im Prinzip voll mit diesen Erkenntnissen, aber ich glaube ganz prägend war mein Übergang von der Realschule zur Hauptschule. Ursprünglich am Gymnasium eingestuft würde ich sagen, daß zu meiner Zeit das Verhalten der Schüler je nach Schulform sehr unterschiedlich war. Gymnasium war Lernen, Hauptschule war Krieg. In meinem Freundeskreis befindet sich ein Gymnasiallehrer, welcher behauptet, daß die Unterschiede heute etwas geringer sind. Mittlerweile wird sich offenbar auch am Gymnasium gegenseitig als "Jude" beschimpft, geprügelt und über Tische gesprungen.

Ich hatte familiär bereits mit Demütigung zu tun gehabt, jedoch in meiner frühen Kindheit und wenn Zeit schon keine Wunden heilt, nutzt sich Hass je nach Proportion zumindest auf Dauer etwas ab.

Nur ein falsches Wort von meiner Seite. Nur das hatte es benötigt um das vorläufige Ende meiner schulischen Karriere zur Hölle werden zu lassen. Die ganze Klasse war vor Ort um zuzusehen wie der Klassenkönig mich mit seinen Fäusten bearbeitete. Öffentliche Hinrichtung mit Folgeerscheinungen. Und das etliche Male.
Ich denke die Welt wäre auch nicht vollendet gewesen, wenn nur das Elternhaus Ort des Horrors wäre, der Rest des Tages, also der Morgen, musste ins Bild passen.

Ich glaube manchmal, daß man so was erlebt haben muss. Man kann es selbstverständlich als "Lausbuben-Gehabe" abtun. Aber auf einer psychologischen Ebene muss es doch als mehr betrachtet werden. Müssten nicht irgendwo Spiegelneuronen etwas reflektieren?

Ich glaube, als ich da vor 30 Zuschauern am Baum zusammen sank übertrat ich eine Grenze. Esoteriker würden es sicherlich als Initiation verstehen und ich möchte das nicht leugnen. Willkommen unter uns Menschen. Das ist was wir tun. Wir können das so machen oder auf größeren/höherer Ebene. 30 leere Augen und Münder, 2 Fäuste und eine Initiation.

2
Nov
2014

EFILismus 1

Ah, das Leben eines Philosophen. Seit 25 Stunden wach mitsamt 3 Flaschen Wein und wenigen Litern Bier. Wie geht es Caraco eigentlich?

Er hasst Leibniz, und obwohl dessen Theorie von der PP eine durchaus durchdachte war, scheitert er an seiner eigenen Auffassungsgabe. Die Aussage, diese Welt ist die beste aller möglichen. Ich habe Tagträume davon eine Zeitmaschine zu bauen, Herrn Leibniz an den Haaren zu packen und aus seiner Bibliothek um die Welt zu schleifen. Hier läuft das Spiel ab, nicht in deinem Kopf. Der Gedankengang ist grundlegend falsch, weil er das Leben an sich als etwas Positives verbürgt. Benatar springt hier ein und macht mit seinem Asymmetrie-Argument die Geschichte logisch. Die Marsmenschen vermisst sich nicht, weil es ihn nicht gibt. Ungeborene stecken in keiner Vorhölle fest, sie bedürfen keiner Rettung. Nicht-Existenz vermisst Existenz nicht. Existenz vermisst aber immer Perfektion und Befriedigung. Existenz setzt den Willen zum Wollen frei.

Daraus ergibt sich, Leben ist grundlegend etwas Schlechtes. Existenz perpetuiert das Dasein von deterministisch induziertem Leiden. Kulturpessimismus vertritt die Überzeugung, daß es künftig nicht besser wird. Die Frage dahinter ist allerdings, wie jemand das leugnen kann? Formen und Farben des menschlichen Daseins haben sich über Jahrtausende nicht geändert. Die Zivilisation, also die Form durchaus. Verdrängung, Unterdrückung, Egoismus, Anthropozentrik, Krieg, Mord, Sucht und Erweiterung allerdings sind grundlegende Eigenschaften der Menschen. Allem voran allerdings ist es brutale Gewalt. Menschen beschweren sich über die dänischen Tierfickpuffs oder Pädophilenkreise, mit der Begründung, daß die empfangenden Sexpartner entweder nicht reif genug seien oder nicht über die Intelligenz verfügten diese Entscheidung für sich zu treffen. Aber Sex und Fortpflanzung ist in Ordnung? Ich selbst erinnere mich nicht daran einen Vertrag unterschrieben zu haben, der mich in eine Welt wirft, welche diese Fülle an Regeln aufwirft, innerhalb eines Körpers, der permanent gegen Roseau ins Feld ziehen möchte.

Fortpflanzung ist immer ein selbstsüchtiger Akt. Es gibt niemanden zu retten, es gibt keinen großen Reiz aus der Nichtexistenz in diese hier gezogen zu werden. Fortpflanzung ist Vergewaltigung. Mal ganz abgesehen von den ganzen Risiken von Armut, Down-Syndrom, Misshandlung, Depression und was es alles noch so gibt. Im Jahr 2010 erkrankten über 450.000 Menschen in Deutschland an Krebs. Reicht das nicht? Wer unterschreibt denn schon gerne einen Vertrag für seine Nachkommen, welcher besagt, daß dieser mit riesiger Wahrscheinlichkeit elendig an Krebs sterben wird.

Wir alle haben tolle Zeiten in dieser Existenz gehabt, ich weiß. Aber die meisten von uns haben noch nicht im Elend gelebt. Wenn der Hirntumor die Augäpfel aus der Höhle drückt, permanenter Schmerz, Hunger, Sehnsucht, gescheiterte Liebe, Versagen. Das sind alles Gefühle, welche man gerne aus seinem Leben verbannen möchte, die aber natürlich im wahrsten Sinne des Wortes sind. Menschlich, allzu menschlich.

Die Menschen versuchen es ewig erneut. Frankenstein war sich seiner Sache so sicher und was passiert? Er spielt mit dem Leben und bekommt Intelligenz, was wiederrum seine Welt zerstört. Sind die Analogien zu kompliziert, der Trieb zu stark oder die Tradition zu verfestigt? Hört einfach auf wegen einem „Ich will“ anderen Menschen die Bürde des Lebens aufzuerlegen. Bedenkt, kein Ungeborenes vermisst die Existenz, aber jeder Mensch leidet zu einem Zeitpunkt in seinem Leben. Und selbst wenn das noch jemand leugnen möchte, man kann sich sicher sein, >die meisten< werden es. Spielt nicht russisches Roulette.

Camus hatte einen angenommen schnellen Tod bei einem Autounfall. Schön für ihn. Bis dahin vertrieb er aber die Theorie vom Sisyphos als glücklichen Menschen. Im Tartaros den Felsen einen Berg hochzuschieben, nur damit er am anderen Ende wieder runter rollt, damit alles von vorne los geht. Die Analogie ist offensichtlich, die Absurdität der Existenz nicht nur anzunehmen, sondern positiv zu konnotieren.

Und hier sind wir tatsächlich beim Kern des Menschen angekommen. Es ist einfach, Menschheit bedeutet Illusion. Mal ganz abgesehen davon, daß wir uns sowas wie ein Ego einbilden, besteht Camus im Prinzip drauf, daß wir uns unser Leid schön und notwendig reden. Das heißt, uns in Illusionen hüllen. Das ist der prinzipielle Akt. Das ist was hunderte Tierarten ausgerottet, die Umwelt verpestet, mehrere Weltkriege erzeugt, Völkermorde angetrieben und Massenmord begünstigt hat. Es gibt kein Ziel, Determinismus ist Realität. Kann man das leugnen? Menschliches Dasein spiegelt sich in der Form einer Spirale wieder, der ewigen Wiederkunft, welche Nietzsche seiner Ansicht nach als lebensbejahend empfindet. Auch er lässt in seiner Philosophie den eigentlichen persönlichen Existenzialismus zu kurz kommen. Wie kann das alles gut sein? Wem nutzt das? Nietzsche auch nur ein Zahnrad im existenziellen Fleischwolf.

1
Mrz
2014

Ian und Ich

In einem neuerlichen Anfall von Zeitüberschuss entschied ich mich dazu, erneut eines meiner am meisten geschätzten Bücher zu lesen, und zwar “Face to Face with Evil: Conversations with Ian Brady”. Aus diesem Werk werde ich hier Zitate bringen, wobei die des Autors Dr. Chris Cowley gängig gekennzeichnet und die von Brady kursiv getippt sein werden. Zu jedem dieser Sätze oder Abschnitte werde ich dann den ein oder anderen Gedankengang anhängen.

In my most recent interview with Brady after discussing various atrocities he had seen in the media, he lowered his glasses and looked me straight in the eye through his cataracts, and said, very clearly, „I wish this place and this country and this world ill” (2009). The words kind of hung in the air. On every single occasion where I tried to introduce anything positive in correspondence or during interviews, Brady would come back with a negative and bleak interpretation.

Auch ich war schon immer sehr negativ gestimmt, obwohl ich glaube, daß das sich in letzter Zeit noch verschlimmert hat. Vor wenigen Tagen traf ich eine Bekannte mit der ich früher immer rumgealbert hatte. Wir gingen mit zwei weiteren Personen ins Kino, schauten eine Komödie an und verließen ganz natürlich später den Film. Alle sprachen über das Gesehene, zitierten Witze und benannten ihre Lieblingsszenen. Dabei fühlte ich mich wie auf einem Podest stehend, um genauer zu sein, meine Gedankenmonologe bestanden aus „Das gehört wohl zu eurem Ritual, das Erlebte nun zu besprechen.“ oder „Es war klar, daß du diesen Satz sagen würdest.“, aber kein Zeichen von eigenem Spaß oder Freude, im Gegenteil, eher Leere. Dieses Gefühl sowie diese Gedankengänge sind mittlerweile meine dominierenden Emotionen wenn ich mit Menschen interagiere, die ich kenne. Dabei ist ganz besonders der beschriebene Podest-Aspekt wichtig, bei dem ich ständig eher betrachte anstatt teilnehme. Als Rohling, also alleine, ohne weiteren Einfluss natürlich abgesehen der Vergangenheit, bin ich traurig. Ich fühle mich müde, schwach, verzweifelt und schwerfällig. Körperlich ausgedrückt entspricht es einem Wüstenszenario, in dem jemand seit Tagen ohne Aussicht auf Ziel wandert und sich dem Tode nahe bewusst hinlegt, willig sein Ende zu akzeptieren. Aber es gibt noch eine dritte Emotion, welche vor allem umgeben von fremden Personen auftritt und das ist Wut. Wenn diese Fremden nicht eine Kleinigkeit „verbrechen“, wie etwa im Auto hupen oder etwas kaufen was mir nicht recht ist, und ich somit meinen Hass gegen Einzelpersonen richten kann, muss die Welt her halten. Dieser Hass ist verschlingend, den Hasser und den Gehassten. Auch Brady ist in meinen Augen ein Kind dieser Trinität der Misanthropie, weiß wie sie sich anfühlt, sich manchmal vermischt und nach außen dringt. Das Podest, unabhängig ob es nun über oder neben den anderen steht, trennt viele Menschen vom Verständnis für diese Gefühlslage.

“After borstal, I resolved never again to be involved in anything trivial.”

Trivialität ist ein sehr individueller Begriff. Ich selbst empfinde auch Sex und Bungee-Jumping als trivial, auch wenn ersteres einige Tiefen besitzt und ich letzteres zum Beispiel noch nie gemacht habe. Ich könnte nach wie vor sicherlich bis heute einen Kick von beidem erhalten, doch verhält es sich für mich bei diesen Tätigkeiten wie bei meinem naturgegeben Desinteresse an schnellen oder „schönen“ Autos. Es spricht einfach nicht zu mir. Ich weiß, daß es mir nichts geben würde mich in das Thema „Autos“ einzulesen und ab heute meine Hobbys auf Formel 1 und andere ähnliche Freizeitaktivitäten zu lenken. Doch das wäre nicht ich, es wäre gezwungen. Ich finde Autos von Grund auf langweilig, genau wie all die anderen ach-so-großen Unternehmungen, die bisher in meinem Lebenslauf fehlen. Das ist nichts einmaliges, denn:

“I felt old at twenty-six. Everything was ashes. I felt there was nothing of interest – nothing to hook myself into.”

Das liegt nicht an einem Mangel an möglichen Aktivitäten, sondern an einem Mangel an Interesse an eben diesen. Brady beschreibt seine Gefühlslage als „old“, ich nannte oben andere Adjektive. Das Gefühl ist das gleiche.

“Better to have no hope, than false hope.”

Genährt von einer vom eigenen Geist verbrauchten Welt, welche nur wenige düstere Reflektionen zulässt, brütet die Hilflosigkeit nur schwarze oder weiße Nachkommen. Die Ansichten radikalisieren sich zu einem entweder/oder.

Brady endured terribly things happening to him in his youth, but rather than trying to resolve them in a positive manner he responded by making terrible things happen to other people. But his crimes did not and could not cancel anything out. As with most serial killers, each of Brady´s murders turned out to be disappointing and simply acted as catalyst which resulted in the next one having to be even more violent and outrageous, and he still could not find peace. It is a tragedy; there is no other way to view it.

Der Existenzialismus war sehr prägend für Brady, aber auch ohne Umweg zur Philosophie ist dieser Abschnitt lediglich eine logische Konsequenz. Wenn man die ganzen „trivialen Aktivitäten“ für sich auf Seite gefegt hat, bleibt das Leben selbst (und der Tod) als einzige Quelle von Interesse bestehen. Carole Anne Davis schrieb in ihrem Buch „Women who kill“, die Absicht zum Selbstmord wäre nicht unweit von der Absicht zum Mord zu verorten, was nicht schwer vorzustellen ist. So fern dem Menschen, der nicht auf diesem Podest steht das ist, was Brady als „existencial exercise“ beschreibt, auf einer kausalen Ebene könnte ein oben beschriebenes Wesen doch verstanden werden. In einer post-apokalyptischen Welt, in der Formen des Glücks und des Zusammenseins nur noch Asche sind und kein Ziel wünschenswert erscheint, bleibt nur noch die existenzielle Übung. Hierbei führt die Leere zu nichts, denn wie sollte sie auch produktiv sein? Die Traurigkeit verschreibt sich dem Selbstmord, ohne dabei den Tod unbedingt als etwas trauriges zu betrachten, sondern lediglich als das Ende eines Weges. Die Wut zu guter Letzt führt zu Mord, wobei das zu erläutern ist. Das heißt nicht, daß solche Gewaltverbrechen mit schäumendem Mund in einem Ausbruch des Ärgers ausgelebt werden. Wut arbeitet hier subtiler und veräußerlicht sich deshalb, wie in den letzten fünfzig Jahren auch vermehrt festgestellt werden kann, auf Opfer welche in keinem provokanten Verhältnis zum Mörder standen, was gerade bei Brady zutrifft. Die Wut auf die eigene Unzulänglichkeit, welche sich auf die Welt überträgt versteckt sich in der Form einer logischen und wünschenswerten Entscheidung, welche der letzte Strohhalm ist, ähnlich wie der Selbstmord. Jedoch:

Once a potential serial killer has murdered for the first time, they have more or less murdered themselves, whether they are apprehended or not. Any lofty ideals of superhuman choice/power are effectively destroyed once the murders start. The killer becomes just as trapped by their actions as any of their victims ever were. Then, when it finally dawns on them that they have destroyed their own lives just as effectively as they have destroyed the lives of the people they have killed, they realize that they have essentially marked out and dug their own grave. Serial killers are deeply sad people who can take no joy whatsoever in anything they derive from life, seeing only unhappiness that reflects their own miserable state, both before and after they are apprehended. Shortly before his execution, Ted Bundy stated that his murders never really achieved what he wanted them to. His killings left him unsatisfied and depressed.

Was für eine Tragödie, um die Worte von Dr. Cowley zu benutzen, wäre es auch, wenn dieser Strohhalm namens „Mord“ die erwünschte Befriedigung bringen würde? Es gibt Menschen, welche am liebsten in der Welt aufgehen würden, mit guten Absichten und vielen Ideen. Manche kämpfen ein Leben lang dafür und gehen so in ihren Absichten auf. Andere romantische Idealisten verzagen dagegen an der Übermacht der Unmöglichkeit.

The most powerful human appetite is a craving for meaning, if this is denied, it may turn sour or violent.

Viele dieser in meinen Augen einerseits von einem Maß an Sensibilität, andererseits von der eigenen Prägung abhängenden Triebfedern sind Kausalitäten, welche mit ein paar wenigen zusätzlichen Ingredienzien diesen Schlag Mensch erschafft. Der Buchtitel selbst heißt „Face to Face with Evil“, obwohl:

Brady expresses remorse through actions. Most of his are derailed, refused or belittled by the Ashworth authorities. A number of years ago, he attempted to donate a kidney to someone, anyone who needed one; this was refused by the authorities. He spent over 20 years transcribing classical texts into Braille for blind people until the authorities removed his transcription machine, claiming it might be a dangerous weapon. He gives what little money he gets (and is not allowed to keep) to charity. The Ashworth authorities block this every step of the way and confiscate simple thank-you gifts that are sent from the charities he has tried to contribute to.

Leider nicht. Weder das personifizierte Übel, noch der Teufel selbst. Ein Kind dieser Zeit, mit schlechten Voraussetzungen. Selbstmord wäre wohl für alle Beteiligten besser gewesen.

Basically, our sanity depends on narrowness of vision.

- Haigha

12
Feb
2014

Gerichtstermin #2

Richter: Meine Damen und Herren, bitte setzen sie sich. Ich begrüße sie zu diesem zweiten Verhandlungstag, betreffend den Vorfall rund um die Taten des Herrn Hase. Wir fahren nun fort mit der Befragung, zuerst bezüglich des Tathergangs an sich. Hier möchte ich die Zuhörer mit einem schwachen Magen vorwarnen, denn könnten die Ausführungen jenen vielleicht strapazieren. Bitte schildern sie, Herr Hase, nun den ersten Vorfall.

Haigha: Das werde ich, euer Ehren. Es gab zahlreiche Obdachlose die mich, wie in der gestrigen Sitzung erwähnt, durch ihre penetrante Art im Alltag ärgerten, doch war mein erstes Opfer keiner dieser Sorte. Er war allerdings einer der ersten Obdachlosen, die mir in dieser Stadt ins Blickfeld traten. Ich sah ihn oft mit seinen vielen Taschen und sogar einer Sackkarre um all seinen Unfug zu transportieren. Er schlief manchmal im Vorraum einer Bank unweit meines Hauses. Wenn ich ihn in der Fußgängerzone sah, führte er immer empörte Selbstgespräche. Mir war klar, daß ihn niemand vermissen würde.

Richter: Unsere Gesellschaft vermisst Menschen, Herr Hase. Egal an welcher Position sie stehen. Sagen sie mir, wie spielte sich die Tat selbst ab, nachdem wir nun erahnen können wie ihre Opferselektion ablief?

Haigha: Ein prekärer Schritt einer Person mit solch dunklen Fantasien ist der vom einfachen Grübeln zum Stalken. Man fängt an sich umzuschauen, ist quasi auf der Jagd. Diese dunkle Seite von der ich gestern sprach trieb mich des nachts nach draußen, in erster Linie augenscheinlich gar nicht mit bösartigen Absichten, doch war es schon so, daß ich die abendlichen Wanderrouten der Obdachlosen somit täglich studieren konnte. Ich sah wo sie her gingen und wo sie schliefen und im Endeffekt war es nur eine Frage der Zeit bis ich das ausnutzen würde.

Richter: Welche Wurzeln hatte ihr modus operandi?

Haigha: Vieles war ein Überbleibsel eines Rituals meinerseits, welches ich vor vielen Jahren in einer Zeit welche ich meine esoterische Phase nenne, benutzt hatte. Ich führte dieses zeitgleich mit Freunden aus Wien durch. Es nannte sich Pooka-Ritual, galt dem kleinen und grünen Volk und übte damals großen Eindruck auf mich aus. Ich trug während des Akts eine schwarze Maske, welche Teil des Rituals war und war mit einer Sichel bewaffnet.

Richter: Also war Ihnen das Ritual so wichtig, daß sie es in ihre Straftaten einbinden wollten?

Haigha: Das würde ich nicht mal sagen. Ich wollte nicht erkannt werden und erinnerte mich, daß ich eine schwarze Maske in meinem Schrank hatte. Ich wollte aber auch keine neuen Mordwerkzeuge kaufen, weil man diese eventuell zurück verfolgen könnte. Insofern gab ich mich mit dem zufrieden was ich hatte und benutzte es einfach entsprechend. Ich hätte eventuell davon abgesehen wenn ich mich mit der Idee des Pookas oder genauer des Tricksters gar nicht identifizieren könnte, aber mir gefiel die Vorstellung gut genug, als daß ich es im Endeffekt wirklich verwendete.

Richter: Gut, gut. Zurück zum Tathergang.

Haigha: Es lief so ab, daß ich bei meinen abendlichen Rundgängen die genannte Ausrüstung schon bei mir trug, sicher verpackt in einem Rucksack. Ich war also bei Sichtung des Opfers nach kurzer Zeit bereit meine monatelang gereifte Fantasie in die Tat umzusetzen.

Richter: Was taten sie dann?

Haigha: Also, ich sah den bereits erwähnten Bettler…

Richter: Obdachlosen.

Haigha: Den bereits erwähnten Obdachlosen an dem bekannten Fluss entlang laufen, warf in einer nahe gelegenen dunklen Ecke meinen Rucksack in die Wiese, zog meine Kapuze über, meine Maske an und nahm die Sichel. Ich schlich mich dann von hinten an, wobei ich durch die Selbstgespräche und die Trunkenheit des Obdachlosen nicht gehört wurde. An sich war die Sichel ein unpraktisches Werkzeug, weil sie nicht besonders scharf war. Ich musste also die Spitze nutzen und mit einem Schlag das Werk wenn möglich gleich beenden. Der Plan war jene Spitze in die Halsschlagader zu rammen und durch die Hebelwirkung welche eine Sichel bietet das Opfer gleich so gut es geht Richtung Fluss zu bewegen. Die Menge des Bluts war weitaus mehr als ich dachte, die Lautstärke des Opfers dagegen aber weitaus weniger. Ich möchte hier kurz betonen, daß es sich nicht toll anfühlte. Es war schwierig, unangenehm, belastend, anstrengend und sogar eklig. Das Töten selbst war keineswegs eine tolle oder schöne Erfahrung, im Gegenteil.

Richter: Fahren sie bitte fort über den Tathergang zu sprechen. Zu ihrer Gefühlswelt kommen wir später.

Haigha: Das werde ich, entschuldigen sie. Wie bereits erwähnt war der Blutverlust extremer als ich erwartet hatte, doch die Gegenwehr wiederrum auch weniger kompliziert als ich zuvor annahm. So beendete sich der Todeskampf schon nach gefühlten Sekunden, obwohl es mir schwer fällt den eigentlichen Todeszeitpunkt richtig einzuschätzen. Der weitere Verlauf bewog mich den Leichnam dann in die erstbeste Quelle von Wasser zu versenken, weil ich mal gelesen hatte, daß das die Spuren besser verwischt. Das ist so ziemlich genau der Ablauf des ersten Mordes. Der Obdachlose wurde völlig überrascht. Er sagte nichts bis auf etwas röcheln und ich hoffe, daß er auch nicht lange Schmerz spürte. Mir war die Blutlache in der Nähe des Gehwegs zwar unangenehm, doch musste ich diese einfach in Kauf nehmen, insbesondere im Hinblick auf meinem damals sofort einsetzenden Fluchtmechanismus.

Richter: Sie unterschlagen hier willentlich ein Detail?

Haigha: Nicht wirklich, Herr Richter. Das Detail auf welches sie womöglich hinaus wollen wäre dann in meiner Abhandlung über die emotionalen Tiefen der Tat betont worden.

Richter: Bitte erläutern sie dem Gericht jetzt wovon sie sprechen.

Haigha: Sehr wohl. Ein großer Teil meiner Taten beinhaltete es, ein Stück aus dem Leichnam zu schneiden und in meiner Wohnung zu verzehren.

Richter: Warum taten sie das?

Haigha: Ehrlich gesagt gab es schon öfters in verschiedensten Freundeskreisen meinerseits Diskussionen darüber wie Menschenfleisch wohl schmeckt. Ich glaube mein Gedankengang war so gestimmt, daß wenn ich schon jemanden umbringe, ich auch gerade diese alte Frage für mich klären kann. Es war also ein Akt von Neugier und guter Gelegenheit, so peinlich es mir auch ist das zu gestehen.

Richter: Trennten sie die Hautschichten ihrer Opfer mit der Sichel ab?

Haigha: Nein, ich benutzte dafür scharfe Messer, welche ich von meinen Eltern zu Weihnachten bekam.

Richter: Wir schließen diese Sitzung nun und fahren morgen fort. Bringen sie den Herrn Hase wieder in seine Zelle, den anderen Zuschauern wünsche ich noch einen schönen Tag und wir sehen uns morgen wieder.

11
Feb
2014

Gerichtstermin #1

Richter: Wir finden uns heute ein um den Fall des Herrn Hase zu besprechen. Ihm wird vorgeworfen im Zeitraum vom 1.1.2014 bis 31.3.2014 6 Menschen ermordet zu haben. Herr Hase, plädieren sie auf schuldig oder nicht schuldig?

Märzhase: Nicht schuldig, mit Verweis auf geistige Beschwerden.

Richter: Also nehmen wir nun den Prozess auf. Im Detail wird ihnen vorgeworfen in besagter Zeit 6 städtische Obdachlose mit einer Sichel des Nachts ermordet zu haben. Sie haben zur Beweistilgung deren Körper danach in den lokalen Fluss geworfen. Das Gericht ist der Überzeugung, daß diese Taten mit einem gesunden Geist und geplanter Absicht geschahen. Ich verhöre sie nun und frage sie, ob die Taten geplant waren?

Märzhase: Das waren sie. Ich verspürte seit geraumer Zeit eine Abwärtsspirale welche kontinuierlich von mir Besitz ergriff und in diesen verhängnisvollen Nächten sein Eigenleben entwickelte. Es erschien mir, als gäbe es keine Alternative.

Richter: Also gestehen sie die Taten?

Märzhase: Ja, das tue ich.

Richter: Fühlen sie Reue?

Märzhase: Einerseits nicht, denn war die Tat ein gewissermaßen aktiver Prozess und lief unter dem Motto der Mafia „Just business, nothing personal“. Doch empfinde ich den Verlust der potenziellen Familien und Freunden nach. Das Motto dominiert aber, ich hatte das Gefühl es einfach tun zu müssen.

Richter: Sie sprachen von einer Abwärtsspirale, erläutern sie das.

Märzhase: Mein Leben lang hatte ich das Gefühl mich eher auf der düsteren Seite der Seele wiederfinden zu können. Das lief sehr lange vor sich hin, spitzte sich aber nach und nach zu. In den 6 Monaten vor der ersten Tat erreichte es einen Höhepunkt. Mein Alltag bestand fast ausschließlich im Lesen von Serienmörderbiographien und dem Auseinandersetzen mit ähnlichen Themen, Zwischendurch durchsuchte ich Pornoseiten mit dem Suchbegriff "corpse" oder "blood". Ich hatte einfach den Todesblick. Sicherlich mit meinem Input zusammenhängend ging ich durch die Welt und sah nur Tod. Wenn ein Hubschrauber über mich flog sah ich ihn abstürzen. Wenn ich eine Person sah, die mich ärgerte, und das waren 99% der Menschen, stellte ich mir vor wie ich sie folterte. Die letzte Umsetzung war einfach ein gefühlt natürlicher Schritt.

Richter: Herr Hase, man kann seinen Input bestimmen, genau wie die eigenen Taten. Die Wahl der eigens zugeführten Medien liegt in der Macht jedes Einzelnen. Viele schauen sich aus eventuell sadistischer Neugier solche Sachen an und gehen danach ihrem friedlichen Alltag nach. Sie aber scheinen sich willentlich gefüttert zu haben. Ich sehe da ausschließlich einen bewussten Akt des Selbstverderbens und keine Form von geistigen Problemen.

Märzhase: Eure Ehren, es ist in meinen Augen auch nicht das Planen und das organisierte Durchführen, was für meine Problematik spricht, sondern der Trieb an sich. Religiöse wurden vielleicht von einem Dämon oder Satan selbst sprechen, der von mir Besitz ergriff. Ich selbst habe es gegenüber meiner Therapeutin immer als „dunkle Ecke“ bezeichnet. Ich bin mir sicher, daß jeder von seiner jeweiligen Position abhängig eine andere Bezeichnung für dieses Verlangen hat. Doch möchte ich betonen, daß es von mir Besitz ergriff und ich ihm nicht die Türe zu meinem Wesen offen gehalten habe. Ich möchte mich nicht direkt als Opfer bezeichnen, aber auch nicht als Täter.

Richter: Für das Gericht, Herr Hase, sind sie dadurch Täter, daß sie mit einem Mordwerkzeug das Leben Unschuldiger nahmen. Wir sind hier um das zu besprechen.

Märzhase: Das ist mir bewusst.

Richter: Es ist dem Gericht bekannt, daß sie ein Alkoholproblem haben. Welche Rolle spielte das bei ihren Taten?

Märzhase: Ich war bei den Taten immer angetrunken. Ich betrachte mich als einen Feigling und der Alkohol half auf dieser Ebene.

Richter: Welche Rolle spielte er bei der von ihnen erwähnten Abwärtsspirale?

Märzhase: Eine große Rolle. Ich betrachtete den Alkohol immer als eine Art Schubser in das weitere Verderben. Meine Sucht machte es mir deshalb nicht leichter, denn wollte ich trinken, aber wenn ich trank kamen Fantasien über Mord und Tod.

Richter: Wie viel tranken sie zu diesem Zeitpunkt?

Märzhase: Etwa 2 Flaschen Wein pro Abend. Selten mehr.

Richter: Dem Gericht ist bekannt, daß sie selbstverletzendes Verhalten zeigten. Welche Rolle spielte das?

Märzhase: Eine große. Wenn ich mich betrank und das Dunkle Besitz von mir ergriff war das Zufügen von Wunden eine gute Methode den Drang zu befriedigen. Ich genoss den Anblick des Blutes und war regelrecht froh die Wunden zu sehen. Es machte mich glücklich.

Richter: Taten sie es um Aufmerksamkeit zu erlangen oder um sich umzubringen?

Märzhase: Weder noch. Ich denke, ich empfand einfach den Anblick des Blutes als befriedigend. Nicht sexuell wohlgemerkt, aber ich hatte immer das Gefühl etwas richtig gemacht zu haben.

Richter: All ihre Opfer kamen aus dem sozialen Bereich derer, die man als Obdachlose bezeichnet. Warum waren diese ihre bevorzugten Ziele?

Märzhase: Meine Psychologin weiß, daß ich immer eine sehr paradoxe Verbindung zu Bettlern hatte. Auf der einen Seite war ich immer schnell Freund mit ihnen, weil mein persönlicher Lebensstil mich diesen eigentlich sehr nahe brachte. Ich mochte immer Verzweiflung und Randgruppen, wobei sich beides in dieser Gesellschaftsschicht verbindet. Ich sagte sogar einmal einem Bettler der mich nach Geld fragte, daß ich mich in den nächsten Wochen neben ihn setzen werde, weil auch ich am absteigen bin. Allerdings, wie so vieles war auch hier meine Sicht zu der Situation ambivalent. Die Suchtberatung zog mich mal damit auf, daß ich keinen Satz sagen kann ohne ein „ , aber...“ einzubauen und auch hier ist es nicht ganz so einfach. Auf der anderen Seite habe ich diesen Menschenschlag auch gehasst. Da ich so viel in meiner eigenen Welt lebte, empfand ich deren Betteln als Eindringen und projizierte meinen Hass somit schnell auf sie. Es war eine Art Abwehrreaktion. Außerdem, aus praktischen Gründen, sind sie einfache Ziele. Oft betrunken, des Nachts unterwegs und die Gesellschaft vermisst sie auch nicht wirklich.

Richter: Sie sprachen von ihrer eigenen Welt. Wie sah diese aus?

Märzhase: Mein Leben ist eine Fantasiewelt. Da in meiner Kindheit und Jugend nur Krieg herrschte, konnte ich ohne eine alternative Welt nicht leben. Mein tyrannischer Stiefvater machte mir bis ich wegzog das eigene Heim zu einer Kriegszone. Das Mobbing in der Schule, sowie die verschiedenen aggressiven Schlägerbanden in den umliegenden Dörfern machte auch jede Situation außerhalb des Hauses zu einem Akt permanenter und zwanghafter Aufmerksamkeit. Die Anstrengung nicht aufzufallen war so immens, daß die eigene Imagination ein stetiger Hort war und Sicherheit versprach. Es war quasi alles was ich hatte.

Richter: Das soll es für heute gewesen sein. Weitere Fragen in der nächsten Sitzung. Bringen sie den Herrn Hase wieder in seine Zelle, den anderen Zuschauern wünsche ich noch einen schönen Tag.

6
Feb
2014

Was ist ein Mörder? (1)

Ich bin mir sicher, daß ich im letzten Beitrag jenes Wort zu selbstverständlich benutzt habe. Ein Mörder ist ein Tätiger, faktisch jemand, der anderen Menschen das Leben nimmt. Aber mein Geist schlägt Pirouetten, denn hier unterscheidet sich der Mörder von etwas anderem. Dieses "Andere" bedarf einer Definition, derer ich nicht nicht schuldig bin. Wörter sind Schall und Rauch. Ich will nur definieren.

Für mich ist ein Mörder ein Opfer. Wohlgemerkt kein Opfer einer schwierigen Kindheit, nicht eines Mobbings, nicht von Schuldruck, nicht von Gewaltspielen oder was es auch alles für Erklärungen gab. Ein Mörder ist Opfer einer Macht. Diese ist selbstständig, stark einnehmend. Sie widerstrebt den Eigenheiten des Menschen, der Liebe, der Zwischenmenschlichkeit. Der Protagonist spürt sie, wie sie sich heranschleicht, sich nähert. Sie zeigt sich im Interesse an Tod, an Verwesung, an Schaden, Blut. Dieses Spektrum reicht von einem minimal morbiden Interesse an düsterer Kunst, bis hin zu sexueller Anziehungskraft von Verwesung. Jeder, der einmal den Mord als Höhepunkt eines Krimis gespürt hat, kann die minimalste Form dieses Phänomens nachvollziehen. Nun stelle man sich vor, daß dieses Gefühl bei manchen Menschen grundlegend vertausendfacht ist. Das ist der Mörder. Er will sich benehmen, er will dazu gehören, doch all seine Gedanken drehen sich nur im das Mörder-sein. Und dabei sind die Überredungskünste des Mörders so stark, daß der innere nette Mensch sich mit ihm verbrüdert, wissend, daß es gegen ihn wirkt, allerdings auch wissend, daß es seine einzige Chance ist, überhaupt etwas zu sein. Unbewusst-bewusst im Äußeren. Richard Dahmer ist die Ausformulierung dieses Wesens.

Was ist nun im Volksmund sonst ein Mörder? Das beste Beispiel dafür ist der Nightstalker Richard Ramirez. Vielleicht war auch er mal Kind dieses oben genannten Widerspruchs, doch übertraf er es. Er hörte nicht die Stimme, er wurde zu der Stimme. Wie ich im letzten Text erwähnte, nicht Empfänger der Stimme des Buchs, sondern die Stimme selbst. Ramirez war ein Monster, eine Person, mit der man keine 5 Minuten in einem Raum überlebt hätte. Völlig im Gegenteil zu vielen anderen.

Mörder sind Besessene. Der Trieb zu Tod und Verderben flüstert ihnen täglich ins Ohr. Dieser Trieb manipuliert nicht nur ihr Sozialverhalten, sondern boykottiert auch jedwede Form von größerem Erfolg in ihrem Leben. Opfer.

Die Liebe sei dir auf ewig versagt.
Das Tor ist hinter dir geschlossen,
Auf der Verzweiflung wilden Rossen
Wirst du durchs öde Leben hingejagt,
Wo keine Freude dir zu folgen wagt.

Dann sinkst du in die ewge Nacht zurück,
Sieh tausend Elend’ auf dich zielen,
Im Schmerz dein Dasein nur zu fühlen!
Ja, erst im ausgelöschten Todesblick
Begrüßt voll Mitleid dich das erste Glück.


Für niemanden war Tiecks Gedicht Melankolie jemals besser bestimmt. Tod ist das einzige Mittel von Befriedigung. Viele Selbstmörder fanden sich glücklicherweise im Freitod, denn hätten sie ihrer sukkubischen Stimme entsprechend ihre Monströsität auch anders erleben können.

(Ende, Teil 1)

21
Jan
2014

Der Mörder in mir

Ich habe mich in meinem Leben sehr oft mit Mördern verglichen. Doch habe ich weder jemals in meinem Leben gemordet, noch so einen Versuch unternommen. Praktisch gesehen ist auch das der springende Punkt. Ich unterstütze die Taten der von mir geliebten, ja, ich betone das, geliebten Serienmörder nicht. Im Gegenteil, ich blende diese Taten regelrecht aus. Wenn man das erfolgreich extrahiert hat bleibt ein bestimmtes Sekret übrig. Dieses ist definiert, auch bei all den unterschiedlichen Tätern, durch Weltekel, Verachtung von Menschlichkeit, Unwillen zur Alltäglichkeit und einem Hauch zur Todesliebe, zur Todessucht. Und spätestens hier kann ich nur noch Identifizierung finden.

„Warum willst du Clown werden? Denk nach.

Weil…ehm…

Sag es schon verdammt! Wieso musst du Clown werden? Kannst du nicht antworten? Es gibt doch sicher einen Grund dafür. Niemand wird einfach so zum Clown. Spucks aus. Was ist es? Die Angst vor dem Leben? Folgst du einer Familientradition? Oder liebst du es erniedrigt zu werden?

Was ist mit ihnen?

Wenn ich nicht Clown geworden wäre, wäre ich Mörder geworden.

Bei mir ist es ebenso.“


Mad Circus - Eine Ballade von Liebe und Tod (2010)

Es liegt eigentlich auf der Hand. Ian Brady gefragt nach seiner Person sagte mal er sei „das Produkt einer existenzialistischen Philosophie, gepaart mit einer Spiritualität des Todes selbst“ und Gott weiß, das bin auch ich.

Ich erinnere mich noch sehr gut an meine frühe Kindheit. Die Familie hatte eine Videokassette mit einem Film der Glücksbärchis, in dem ein einsamer Zirkusjunge ein Buch fand, in dem wiederrum ein grünes Frauengesicht verborgen war, daß dem Knaben böse Absichten einredete und Macht gab. Am Ende gewinnen natürlich Freundschaft und Liebe. Das Buch wird versiegelt und der Knabe erkennt seine Fehler. Ich fand das als Kind schon schwach. Damals und heute, wenn ich ein solches Buch finden würde, kein Gerede von Liebe, Zwischenmenschlichkeit und Freundschaft wäre genug mich von diesem Pfad abzubringen. Ich würde Feuer über das Land werfen, und das jederzeit.
Ian Brady sagte mal, daß wenn jede Person auf der Welt einen Druckknopf vor sich hätte, dessen Aktivierung das Ende der Welt augenblicklich herbeiführen würde, wir schon seit Ewigkeiten keine Erde mehr hätten. Viele Menschen wehren sich gegen diese Äußerung. Ich hätte es schon hunderte Male benutzt. Auch jetzt, in dieser Sekunde würde ich ihn drücken. Ein totes Universum ist ein harmonisches Universum.

Ted Bundy schrieb mal von einer Macht die er über Jahre spürte, welche ständig sein kultiviertes und intelligentes Ich verdrängte, hin zu Tod und Verderben. Ich spüre das. Und es ist bewusst und unbewusst gleichzeitig. Habe ich die Kontrolle dieses Monster zu stoppen? Ja, gewiss. Will ich es stoppen? Ich weiß nicht recht. Existenzialismus? Spiritualität des Todes? Nein, ich werde es nicht stoppen. Irgendwie liebe ich es sogar.

Drogensucht (Dahmer), Existenzialismus (Brady), Spiritualität des Todes (Brady), Dämonen (Bundy), Wut (Kemper), Liebe für Clowns (Gacy), Hingezogenheit zu Tod (Gein). Bin ich ein Mörder? Bestimmt nicht. Aber der rote Faden ist sehr deutlich.

20
Jan
2014

Tz, als wäre ich ein Löwe

"I'm nobody
I'm a tramp, a bum, a hobo
I'm a boxcar and a jug of wine
And a straight razor ...if you get too close to me.
"

- Charles Manson

Ich kann mich in diese Zeilen wunderbar reinversetzen. Auch ich bin nicht der Rede wert, was nicht wehleidig oder traurig klingen soll. Aber gerade das „Nobody“, insbesondere im Bezug zu charakterlichen Eigenschaften hängt mir sehr nach. Schon, es mag normal sein sich gegenüber Freunden und Bekannten, Chef und Arbeitskollegen, Fremden und Kunden anders zu verhalten. Doch kommt es mir vor, als wäre mein Charakter so flatterhaft, so kaleidoskopisch, daß ich schon gar nicht mehr erkenne, wo ich denn eigentlich stehe. Wenn ich nun durch meinen Alltag gehe, freundlich und lustig bin, den Menschen sage, daß es mir gut geht und in jedweder Hinsicht den Eindruck des freundlichen Mitbürgers erwecke, mit Eigenheiten, selbstverständlich, dann aber abends in meinem Turmzimmer sitze, mich betrinke und an allem labe was mit Tod, Verderben, Mord, Selbstmord, Folter und Drogenrausch zu tun hat, dann frage ich mich, ob letzteres der einzige nachvollziehbare Charakterzug meinerseits ist.

Neulich betrank ich mich abends wieder, zog einen Anzug an und trug mir Clownschminke auf. Ich fotografierte mich dann mit einer leeren Flasche Whisky in der Hand, weinend. Vor einer Woche schnitt ich mir nach einer Flasche Wodka mit meinen neuen Küchenmessern acht zeigefingerlange Schnitte in meinen Unterarm und fotografierte das viele Blut. Als ich dann am nächsten Tag müde und mit schmerzendem Arm zur Arbeit ging, ausnahmsweise mit einem langärmeligen Hemd, damit man die Wunden nicht sieht, antwortete ich auf die Frage „Wie gehts?“ meiner Chefin, mit „Gut.“.

Schauspielern ist anstrengend. Ich stolpere zeitweise über die Wörter in meinen Gedanken, während ich von heiler Welt rede. Gott sei Dank sind normale Antworten meist kurz und schnell abgehakt. Die Antwort „Mir geht es elendig. Ich fühle mich in dieser Welt einfach nicht zuhause. Der fantasiereiche Kosmos meiner Kindheit wurde zu schnell durch Verpflichtungen und Ernsthaftigkeit ausgetauscht. Verdammt, ich möchte im Wald spielen gehen.“ wäre nur ein kleiner Einblick und würde sicherlich schon dazu führen, daß mir geraten würde professionelle Hilfe zu suchen. Aber das habe ich schon. Ich habe drei Therapietermine pro Woche. Montags Gruppe für Drogensucht, Dienstags Psychotherapie und Freitags Einzeltermin für Drogensucht, und bei allen habe ich mich ursprünglich freiwillig gemeldet. Aber auch hier führt mein flatterhaftes Wesen dazu, daß ich die Termine an sich gerne wahrnehme weil sie immer interessant sind, jedoch auch da oft schauspiele. Man könnte nun meinen, daß ich es mit Profis zu tun habe, die solche, ich möchte es nicht bagatellisieren, Lügen ohnehin durchschauen. Doch auch ich bin ein Profi meiner Profession.

Mir rotierte neulich das Wort „treat“ im Kopf und der Gedanke, ob nicht jeder so etwas braucht. Meine Definition des Wortes, zumindest wenn ich es benutze, wäre etwas, daß man sich nach einem anstrengenden Arbeitstag genehmigt. Ich weiß von manchen Menschen, daß sie dafür Schokolade benötigen, Nähe zu anderen Menschen, die Zeitung oder einen Film, ein Glas Wein oder eine Zigarette. Auch ich habe sowas nötig, doch ganz meinem extremisierenden Wesen entsprechend ist es der Wein, und davon 2 Flaschen. Ich kann nicht sagen, daß es nicht beruhigt an sich rum zu schneiden, aber kann man das nicht ständig machen.

Ich habe immer mal wieder monatelange Abstinenzphasen in denen ich den Alkohol vermeide. Ich würde nicht mal sagen, daß mir das schwer fällt. Doch auch hier brauche ich einen dieser „treats“. Ich habe dann angefangen als Nichtraucher mir hie und da mal eine Zigarette zu gönnen. Das Wort „gönnen“ hat hier einen regelrecht komödiantischen Aspekt, denn ist es letzten Endes das genaue Gegenteil. Rauchen führt bei mir zu Übelkeit, Schwindel, kaltem Schweiß und Blässe. Soll heißen, wenn ich meinen Körper schon nicht durch Alkohol zugrunde richte, dann finde ich immer andere Wege. Ich bin nicht polytox, absolut gar nicht. Ich bin niemals auf Nikotin angesprungen und auch Cannabis spricht mich nicht an. Mehr noch, ich finde Alkohol eigentlich abartig. Ich hasse betrunkene Menschen, fühle mich unwohl auf diesen suffgeschwängerten Massenveranstaltungen und empfinde sogar den Geschmack als anstrengend. Doch, was das Beispiel mit den Zigaretten andeuten soll, geht es nicht um eine Substanz. Es ist der grundlegende Drang zur Auslöschung, zur Leere, zur Einsamkeit.

In dem Raum, in dem wir die Gruppentherapie halten hängt ein großes Bild im Hintergrund, welches einen Leuchtturm an einer Küste zeigt, an dem eine Holzhütte angebunden ist. Obwohl der Fokus auf dem Turm und dem Haus liegt, mitsamt dem Meer im Hintergrund, erweckt das Bild den Eindruck, daß meilenweit um diese Architektur keine Menschenseele lebt, bis auf den alten, grauen und verschrobenen Mann, der die Technik verwaltet und die Seefahrer vor den gefährlichen Felsen rund um die Küste schützt. Natürlich ist dieser auf dem Bild nicht abgebildet. Obwohl meine eigentliche Liebschaft zur Kunst sich irgendwo zwischen Dadaismus und Futurismus findet, können mich solche Werke auch zutiefst ansprechen. Ich stelle mir dann vor, wie es da riechen wird und wie es sich vor Ort anfühlt. Die frische, kalte und klare Luft, der Geruch von Meer und dem Holz der Hütte. Geräusche von Wellen, die gegen die Küste stoßen, das Krächzen der Vögel und der Wind der ins Ohr rauscht. All das und trotzdem Stille. Ich stelle mir diesen Ort schöner vor als alles was ich bisher erfahren habe.

Doch ob das eine Lösung wäre? Vor zwei Jahren war ich mal mit Freunden im Elbsandsteingebirge auf Wanderschaft und genoss all die Leere und Weite. Es gab Plätze an denen man keine städtischen Geräusche wahrnahm und Orte, an denen bis zum Horizont nur Fels und Wald zu sehen war. Ja, ich fand es großartig. Doch am vorletzten Tag konnte ich den Gedanken nicht von mir weisen, daß das ohnehin alles nur Illusion ist. Was mache ich mir vor? In spätestens 10 Kilometern Entfernung ist alles wie immer. Man gerät von einem Käfig in einen Käfig, wie Yukio Mishima mal schrieb.

“When a captive lion steps out of his cage, he comes into a wider world than the lion who has known only the wilds. While he was in captivity, there were only two worlds for him - the world of the cage, and the world outside the cage. Now he is free. He roars. He attacks people. He eats them. Yet he is not satisfied, for there is no third world that is neither the world of the cage nor the world outside the cage.”

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